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3,57 Billionen Euro: So hoch war das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland 2021 – ein Plus von 2,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Doch nur noch jeder beziehungsweise jede achte Deutsche glaubt, dass er oder sie selbst von einer wachsenden Wirtschaft profitiert. Mehr als die Hälfte denkt, dass der Kapitalismus die großen Menschheitsprobleme nicht lösen kann. Wie müsste ein neuer Kapitalismus aussehen, der Vertrauen zurückgewinnt?

Stephan A. Jansen
Lesedauer: 7 Minuten

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Bestatter haben keine Stammkundschaft. Kapitalismuskritikerinnen und -kritiker, die den Kapitalismus beerdigen wollen, hingegen schon. Doch der Kapitalismus ist komplexer als die Kritik an ihm.* Es existieren unzählige Variationen, die durch historische, religiöse und regionale Besonderheiten entstehen. Geopolitisch stehen sich das europäische sozialstaatliche Wohlfahrtsmodell, das chinesische Autokratie-Kapitalismus-Modell und das datenbasierte, staatsferne kalifornische Modell gegenüber. Zugleich ist der Kapitalismus ein gesellschaftliches Betriebssystem, das sich etwa auf die Gestaltung der Energiewende oder die Bezahlung von Pflegekräften auswirkt – im Zusammenspiel mit Justiz, Zivilgesellschaft, Kirche, Familie und Wirtschaft. Alle Varianten eint das Versprechen von Wachstum, Effizienz und allgemeiner Wohlfahrt. Wie frei die Märkte dabei handeln dürfen und wie diese Freiheit koordiniert werden soll, darüber diskutiert die Wissenschaft in Zeiten von Corona, Kriegen und Klimawandel extrem kontrovers. Die einen – wie etwa das Ludwig-Erhard-Forum – fordern einen Neoliberalismus, also dass der Staat möglichst wenig in die Wirtschaft hineinregieren soll. Für die anderen braucht es einen Neodirigismus, also mehr staatliche Eingriffe und wuchtige Krisenreaktionen. Und zwischen diesen Extremen gibt es viele weitere Perspektiven. Ein kurzer Blick auf die aktuelle Kritik und die Ideen von Forschenden aus aller Welt.

* Siehe auch den Beitrag des Autors in brand eins, September 2021

Tim Jackson und das Postwachstum

Jacksons Kritik: Mehr ist nicht immer besser. Die aktuelle Wirtschaftsordnung baut auf ewigem Wachstum auf. Damit zerstören wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen, weil wir mehr Ressourcen verbrauchen, als unser Planet hergibt. 

Tim Jackson, 65, ist Professor für nachhaltige Entwicklung und Direktor des Centre for the Understanding of Sustainable Prosperity (CUSP) an der University of Surrey in Großbritannien. In seinen Büchern Wohlstand ohne Wachstum (2011) und Wohlstand ohne Wachstum – das Update (2017) erklärt der ehemalige Berater der britischen Regierung, wie ein gutes Wirtschaften gelingen kann.

Jacksons Ansatz: eine Postwachstumsökonomie, die zu Wohlstand findet, ohne dabei um jeden Preis auf das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts zu bauen. In dieser Gesellschaft wird „Wohl-Stand“ neu vermessen und neu erlebt. Ein „sinnvoller Wohlstandsbegriff“ gründet sich dabei nicht allein auf das Einkommen oder materiellen Besitz, sondern berücksichtigt auch das Wohlergehen der Menschen, etwa ihre Gesundheit und das gute Zusammenleben in der Gesellschaft. Jackson stellt dazu die Frage, wo wir mehr Wachstum brauchen – etwa mehr Investitionen in nachhaltige Technologien und öffentliche Gemeingüter – und wo wir auf den Wachstumszwang und auf Konsum verzichten sollten. Statt immer mehr Dinge anzuhäufen, die man nicht braucht, sollte mehr Lebensqualität für die und den Einzelnen zentral sein – auch durch weniger, aber sinnvolle und gut bezahlte Arbeit, zum Beispiel für nicht materielle Dienstleistungen wie Erziehung und Pflege.

Aus Jacksons Sicht sollte Aufgabe der Unternehmen sein, in erster Linie nicht nach Profit zu streben, sondern den Menschen zu dienen. Insgesamt braucht es dafür auch eine bessere Kontrolle der Märkte.

Kate Raworth und die Donut-Ökonomie

Raworths Kritik: Das Anthropozän, also vereinfacht das geologische Zeitalter des menschengemachten Klimawandels, ist ein Effekt des Kapitalismus. Das ist für Raworth unstrittig. Strittig ist: Kann jetzt nur noch ein anderes System oder doch ein anzupassender Kapitalismus die Lösung sein?

Kate Raworth, 52, ist Professorin für Praxis an der Amsterdam University of Applied Sciences und lehrt am Environmental Change Institute der University of Oxford. Ihr Bestseller Die Donut-Ökonomie (2018) wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt. 2019 hat die Ökonomin das Doughnut Economics Action Lab mitgegründet, das die Ideen der Donut-Ökonomie in die Praxis überführen soll.

Raworths Ansatz: eine Kreislaufwirtschaft, visualisiert durch einen Donut – das Gebäckstück mit dem Loch in der Mitte. Das Innere symbolisiert menschliche Grundbedürfnisse wie etwa soziale Gerechtigkeit, Bildung, Wasser und Wohnraum, orientiert an den UN-Entwicklungszielen. Das Äußere des Donuts steht für die ökologischen, planetaren Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen, weil das etwa zu Klimawandel oder Artensterben führte. Raworths Ziel ist es, eine Ökonomie zu gestalten, die beide Kreise zusammenführt und nichtvauf der Ausbeutung von Menschen und Ressourcenvgründet. Ein Anwendungsbeispiel: Amsterdam hat 2020 beschlossen, das Modell in der Praxis anzuwenden. Bis 2030 will die Stadt in allen Wirtschaftsbereichen nur noch halb so viele Rohstoffe verbrauchen, bis 2050 soll die Kreislaufwirtschaft komplett etabliert sein. Wird etwa neuer Wohnraum gebaut, sollen nur nachhaltige Baustoffe zum Einsatz kommen oder Zement, der aus Beton recycelt wurde. Neben Amsterdam befinden sich Kopenhagen, Philadelphia und Portland (Oregon, USA) in der Transformation zu Donut-Städten.

Mariana Mazzucato und der unternehmerische Staat

Mazzucatos Kritik: Der Staat hat sich aus seiner Rolle als Gestalter zu stark zurückgezogen. Stattdessen hat er wichtige Aufträge an Unternehmen und externe Beraterinnen und Berater delegiert – in der Annahme, nur die Wirtschaft sei innovativ. Dem Staat bleibt so nur die Rolle eines rettenden Krisenmanagers.

Mazzucatos Ansatz: Sie fordert vom Staat mehr Unternehmertum und von Unternehmen mehr Beiträge für das Gemeinwohl. Der Staat soll nicht nur eingreifen, wenn die Märkte versagt haben. Vielmehr muss er Märkte neu erschaffen, formen und regulieren – also die Richtung für Veränderung klar vorgeben und dabei selbst viel aktiver und auch finanziell unternehmerischer werden. Mazzucato bringt die simplen Extreme zwischen Neoliberalismus und Neodirigismus ins Wanken, indem sie geund misslingende Geschichten von Innovation, Wachstum, vergesellschafteten Risiken sowie privatisierten staatlichen Förderungen erzählt.

Mariana Mazzucato, 54, ist eine italienische Wirtschaftswissenschaftlerin und Professorin am Institute for Innovation and Public Purpose am University College London und Politikberaterin unter anderem für die Weltgesundheits­organisation und die Vereinten Nationen. Ihr Buch Mission. Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft erschien 2021.

Sie weist nach, dass viele Erfolge von Unternehmen auf die Innovationskraft und Förderung des öffentlichen Sektors zurückgehen. Google etwa hätte seinen Algorithmus nicht entwickeln können oder Apple seinen Siri-Sprachassistenten, wenn nicht zuvor im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums das Internet erfunden worden wäre – finanziert mit öffentlichen Geldern. Gleiches gilt für satellitengestützte GPS-Anwendungen für Navigationssysteme im Auto oder für die Entwicklung von Impfstoffen während der Pandemie. Einerseits werden also die mithilfe staatlicher Forschungsmittel erzielten Erfolge privatisiert und mit Patenten gesichert – oft, ohne Steuern abzuführen. Spiegelbildlich bekommt der Staat bei privaten Misserfolgen durch staatliche Förder- oder Darlehensgewährung Anteile von nachweislich angeschlagenen Unternehmen. Umgekehrt wäre es logischer: Der Staat sichert sich Anteile von gut gemanagten Unternehmen, die er subventioniert hat; dadurch steigt zugleich deren Wert.

So würde auch das Gemeinwesen vom finanziellen Einsatz des Staates profitieren. Ähnlich wie bei der Apollo-Mission der USA in den 1960er-Jahren – mit dem Ziel, den ersten Mann auf den Mond zu schicken – sollte der Staat wieder Mitspieler im Kapitalismus werden, als „Spielregel-Setzer“ und als „Bank“. Zahlreiche Forschungsinstitute und Hunderte von Firmen setzten damals die Mission zusammen mit der NASA, einer Regierungsbehörde, um. Mazzucatos Credo: Akteurinnen und Akteure aus Wirtschaft, Staat und Forschung sollten ein gemeinsames Ziel ins Auge fassen, etwa die Bewältigung des Klimawandels – mit geteiltem Risiko und geteilter Belohnung. Die US-amerikanischen staatlichen Forschungsförderungs­agenturen sind derzeit Vorbild für die startenden deutschen Agenturen, ob für Sprunginnovationen (SPRIND) oder Transfer und Innovation (DATI) – auch wenn sich ihr Prinzip nicht einfach auf Europa übertragen lässt.

Joseph Vogl, 65, ist Professor für Neuere deutsche Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie ständiger Gastprofessor an der Princeton University. 2021 erschien sein Buch Kapital und Ressentiment. Eine kurze Theorie der Gegenwart.

Joseph Vogl und der Finanzmarktkapitalismus

Vogls Kritik: Der globale Finanzmarktkapitalismus hat sich von der Realwirtschaft so dramatisch entkoppelt, dass seinen Profiten und Gewinnen häufig keine Wertschöpfung mehr gegenübersteht.

Vogls Ansatz: Konzerne haben sich von Produktions- zu Finanzierungs- und Beteiligungsgesellschaften gewandelt, was es zu korrigieren gilt. Schattenbanken – Geschäfte also, die jenseits von staatlichen Regeln wie Eigenkapitalrichtlinien und Mindestreserven auf privaten Handelsplattformen stattfinden – müssen besser reguliert werden. Vogl nennt eindrucksvolle Zahlen: So machten Finanzanlagen kurz vor der Finanzmarktkrise im Jahr 2008 das Dreieinhalbfache des globalen Bruttoinlandsprodukts aus – die Summe der Geldanlagen, die pro Jahr investiert werden, ist also dreimal so hoch wie die Umsätze der Volkswirtschaften weltweit. Auch die Schattenbanken verwalteten im Jahr 2015 eine Summe, die das Anderthalbfache der globalen Wirtschaftsleistung betrug. Vogls Forderungen nach mehr Regulierung teilen die meisten Ökonominnen und Ökonomen. Ein Argument für den Finanzmarktkapitalismus könnte aber mit Blick auf die Klimakipppunkte seine hohe Anpassungsgeschwindigkeit sein.

Wenn viel Geld in Richtung Nachhaltigkeit umgelenkt wird, könnte das ein „soziales Kippen“ hin zu einem ökologischeren Wirtschaften erzwingen. 2021 verpflichteten sich 1.300 Investoren, die zusammen ein Anlagevolumen von 14,5 Billionen USDollar verwalten, ihr Kapital nachhaltig anzulegen.

Philipp Staab, 39, ist Inhaber der Professur für Soziologie der Zukunft der Arbeit am Institut für Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie am Einstein Center Digital Future (ECDF). 2019 veröffentlichte er das Buch Digitaler Kapitalismus. Markt und Herrschaft in der Ökonomie der Unknappheit.

Philipp Staab und der digitale Kapitalismus

Staabs Kritik: Die großen Tech-Konzerne wie Alphabet (Google), Apple, Meta (Facebook,
Instagram) oder Amazon haben sich zu Quasimonopolen entwickelt.

Staabs Ansatz: Erstmals seit den Feudalismen früherer Zeiten sind Marktplätze (Amazon oder Airbnb), öffentliche Meinung (Facebook, Twitter etc.) und digitale Währungen (wie Bitcoin) heute wieder in privater Hand – und entziehen sich bisher weitgehend dem Wettbewerb und staatlicher Regulierung. Im digitalen Kapitalismus gibt es keine freien, neutralen und kontrollierten Märkte. Vielmehr gehören die Märkte selbst den privaten digitalen Plattformen. Weil sie Quasimonopole halten, können sie den Zugang zu den Märkten kontrollieren, digitale Güter verknappen und hohe Gewinne erzielen. Firmen, die auf diesen digitalen Marktplätzen verkaufen wollen, müssen sich den Bedingungen der Plattformen unterordnen.

Rendite entsteht also nicht durch eine wertschaffende Produktion von Gütern, sondern aus Marktbesitz beziehungsweise Plattformbesitz. Datenmonopole und künstliche Intelligenzen, die in intransparente Algorithmen einspielen und konkurrenzfrei zu mächtigen Maschinen werden, offenbaren auch die geopolitischen Herausforderungen des Internets. Der digitale Kapitalismus und die Plattform- und Datenmonopole müssen daher mit Blick auf Überwachung und Missbrauch analysiert und stärker reguliert werden.

Esther Duflo und der Kampf gegen Armut

Duflos Kritik: Das wichtigste Versprechen der 1950er- und 1960er-Jahre – Wohlstand für alle – hat sich nicht bewahrheitet. Der Kapitalismus hat zwar durchschnittlich für mehr Wohlstand gesorgt, dennoch gibt es weiterhin Armut und eine ungleiche Verteilung, regional wie auch global.

Duflos Ansatz: Die Forschung der Nobelpreisträgerin soll eine Gute Ökonomie für harte Zeiten ermöglichen, so der Titel ihres Buches. Dazu braucht es eine gerechte Umverteilung. Das Poverty Action Lab, das Duflo mitgegründet hat, nimmt dazu differenzierende Analysen vor, stellt Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaften auf den Kopf und zeigt neue Wege aus der Armut auf. Einige Beispiele:

Esther Duflo, 50, hat am Massachusetts Institute of Technology (MIT) gemeinsam mit ihrem Mann Abhijit V. Banerjee das Poverty Action Lab begründet. Als zweite Frau erhielt sie den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften (2019). Zusammen mit Banerjee veröffentlichte sie 2020 das Buch Gute Ökonomie für harte Zeiten. Sechs Überlebensfragen und wie wir sie besser lösen können.

1. Freier Handel: Duflo befürwortet die Liberalisierung des Handels, aber nicht uneingeschränkt. Denn es gibt auch Länder, die nicht davon profitieren. Die Gewinner des globalen Freihandels sollten deshalb die Verlierer entschädigen. Zudem sind schon jetzt Entwicklungsländer stark vom Klimawandel betroffen. Die Industriestaaten müssen die betroffenen Länder unterstützen.

2. Wirtschaftswachstum: Die Wachstumspolitiken seit den Wirtschaftswunderjahren haben mit der Ölkrise in den 1970er-Jahren ein jähes Ende gefunden. Die angebotsorientierte Wachstumspolitik – also Deregulierung, Steuersenkungen für Reiche, Privatisierung öffentlicher Unternehmen – führte nicht dazu, dass der Wohlstand von den reicheren zu den ärmeren Bevölkerungsgruppen weitergereicht wurde, sondern vielmehr zu einer verschärften Ungleichheit. Wachstum muss aus Duflos Sicht Wohlstand für alle schaffen und CO2-neutral werden.

3. Automatisierung: Robotisierung muss nicht automatisch zu einem Wegfall von Arbeit führen. Das lässt sich auch aus den letzten Automatisierungswellen so nicht ableiten. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens  in reichen Ländern sieht sie skeptisch. Hier ist die gezielte Unterstützung im Sinne eines aktivierenden Sozialstaates
besser: Wenn etwa jemand seinen Job verliert, braucht er oder sie eine Umschulung statt einer Transferzahlung.

4. Beschäftigung: Eine Job- und Bildungsgarantie für jede Bürgerin und jeden Bürger ist für Duflo das wirksamste Instrument gegen Massenunterbeschäftigung und daraus resultierende Armut. Die Arbeitsplätze, die dafür geschaffen werden müssen, könnten dem Gemeinwohl dienen – mit Tätigkeiten, die nach einer gewissen Anlernphase selbstständig ausgeübt werden können.

Eigener Ansatz: der Kognitive Kapitalismus

All diese Kritiken am Kapitalismus haben ihre Punkte. Bei allem Abgesang ist aber noch keine neue Melodie in Hörweite, die die Komplexität der Herausforderungen abbildet. Was wir brauchen könnten, ist ein Kognitiver Kapitalismus: ein präzise und vernetzt beobachtender, entscheidender und sanktionierender Kapitalismus, der uns wieder richtig fühlen lässt, was wir da eigentlich machen und welche Wirkung das für andere hat.

Wir müssen näher ran

1. An Produkte und Produktionsweisen: Wir wissen nicht, was wir kaufen, wie etwa Tiefkühlhähnchen produziert werden. Wir müssen Konsumentenwissen staatlich fördern und die Staaten müssen die Verantwortung für Lieferketten weiter verrechtlichen.
2. An Haftung und Kontrolle: durch ein Unternehmensstrafrecht, ernsthafte staatliche Aufsicht bis hin zur Aufspaltung von Quasimonopolen bei zu hoher Marktmacht. Familienunternehmen wissen, was es bedeutet, mit ihrem Namen und ihrem eigenen Geld zu haften.

3. An die Rückkopplung von Realwirtschaft und Finanzwirtschaft: durch eine Neuordnung der Finanzwirtschaft bis hin zu einer Zweiteilung der Kredit- und Investmentgeschäfte.

4. An den Sinn der Erwerbsarbeit: Um fit für die Jobs der Zukunft zu werden, braucht es individuelle Weiterbildung – refinanziert durch Maschinen-, Roboter-, Algorithmen- und Eigentumssteuern. Diese helfen auch, als wirksam empfundene Empathie-Jobs (etwa in der Pflege) besser zu bezahlen.

5. An die Algorithmen: durch eine regulierte informationelle Selbstbestimmung für die User und mehr Transparenz der Algorithmen.

Stephan A. Jansen, 51, ist Professor für Management, Innovation & Finanzierung an der Karlshochschule Karlsruhe, Stiftungsprofessor für Urbane Innovation an der Universität der Künste Berlin und am Alexander von Humboldt-Institut für Internet & Gesellschaft. Seit 1999 ist er regelmäßig Gastwissenschaftler (Visiting Scholar) an der Stanford University, zudem beriet er in der Vergangenheit das Bundeskanzleramt und Ministerien. Jansen schreibt regelmäßig für das Wirtschaftsmagazin brand eins. 2022 erschien sein aktuelles Buch Bewegt Euch. Selber!.

Wir brauchen mehr Distanz

Die klimatischen und sozialen Folgen, die durch Konsum-, Finanz-, Arbeits- und Digitalmärkte entstehen, müssen sichtbar werden. Zugleich braucht es mehr Distanz zwischen Mitspielenden, Spielregelentwickelnden und Regeldurchsetzenden. Also mehr Kapazität für eine staatliche Kontrolle der Finanzmärkte, Plattformen und Datenmonopole. Eine stärkere supranationale Kooperation. Mehr Distanzierung der Regierungen von einseitigen Lobbyeinflüssen.

Wir brauchen ein neues Bewusstsein

Postkapitalistische Ideen müssen in den nächsten Kapitalismus münden: Nur „Dagegen“ ist noch kein „Besser“! Für diese Bewusstseinserweiterung braucht es Ideenvielfalt durch Teilhabe. Anstelle der Einhorn-Start-ups könnten Zebra-Unternehmen treten, die Schwarz und Weiß, Sinn und Gewinn miteinander verknüpfen, die profitabel sind und die
Gesellschaft verbessern. Neben dem Bund sind Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der wichtigste Hebel der Umsetzung – Kooperationen und Innovationen in und zwischen Städten regulieren und sozialisieren den Kapitalismus vor Ort. Die junge Generation könnte stärker in Entscheidungsprozesse eingebunden werden – etwa über eine Quote für jüngere Aufsichtsräte und zufallsausgewählte Bürgerräte, die den Kommunalregierungen in Sachen Nachhaltigkeit beratend zur Seite stehen. So entsteht eine neue intergenerative Energie. Wagen wir uns an das Update!