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16,1 Billionen Euro: So hoch war Ende August 2022 die Geldmenge in der Euro-Zone. Doch wie entsteht eigentlich Geld? Die aus Crailsheim stammende Filmemacherin Carmen Losmann hat in ihrem Grimme-Preisgekrönten Dokumentarfilm Oeconomia die Spielregeln unseres Finanzsystems skizziert. Ihre These: Unser Geldsystem befeuert eine Art des Wirtschaftens, in der sich Vermögen und Verschuldung immer weiter auftürmen und dabei eine krisenhafte Dynamik entwickeln. Stimmt das? Zeit für einen Austausch über Grundsätzliches. Carmen Losmann beantwortete die Fragen schriftlich per E-Mail.

Johannes Böhme
Lesedauer: 6 Minuten

Es ist eine der Schlüsselszenen in Oeconomia: In einer Schweizer Bankfiliale zeigt Carmen Losmann, wie neues Geld entsteht – indem eine Bank einen Kredit vergibt. Anders, als viele sich das vorstellen, verleiht die Bank dabei kein Geld, das vorher bereits existierte, etwa als Einlagen anderer Bankkundinnen und -kunden. Stattdessen schafft sie per Kreditvergabe gänzlich neues Geld, sogenanntes Buchgeld, das sie einer Kundin bzw. einem Kunden verleiht, damit diese bzw. dieser ein Haus bauen oder Maschinen für eine Firma kaufen kann. Geld entsteht demnach mit wenigen Mausklicks am Computer. Der Film zeigt auch: Wachstum ist nur möglich, wenn Kredite vergeben werden – und diese Kredite können nur zurückgezahlt werden, wenn weiteres Wachstum entsteht.

Frau Losmann, warum fiel es vielen Protagonistinnen und Protagonisten Ihres Films – Insider aus dem Banken- und Finanzsektor – so schwer zu erklären, woher das Geld ursprünglich kam, das sie als Gewinne anhäuften?

Carmen Losmann Geld wird meistens als neutrales Tauschmittel gesehen, das quasinatürlich im Umlauf ist. Wie Geld produziert wird, wird nicht weiter hinterfragt. Für mich war diese Sprachlosigkeit vor allem Ausdruck einer unzureichenden Wissensvermittlung. In den Lehrplänen der Wirtschaftswissenschaften wird viel über Profite gesprochen, aber nicht darüber, wo das Geld für die Profite herkommt.

Selbst jemand wie Peter Praet, der damalige Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, verzweifelt etwas an Ihrer Frage, wie die Euro päische Zentralbank Geld erschafft.

Peter Praet weiß meinem Eindruck nach, wie Geld in der breiten Bevölkerung wahrgenommen wird: als gedrucktes Bargeld. Er weiß aber auch, dass das allermeiste Geld ganz anders entsteht – per Knopfdruck als Buchungssatz in den Bilanzen der Zentralbank oder der Geschäftsbanken. Er versucht dem gerecht zu werden, indem er für das Publikum verständliche Worte sucht, um diesen Vorgang zu erklären. Dabei gerät er ins Stolpern. Gleichzeitig zeigt die Szene zudem, dass auch der Pressereferent, mit dem Peter Praet sich vor laufender Kamera berät, Schwierigkeiten damit hat, die Gelderzeugung zu erklären.

Carmen Losmann, 44, geboren in Crailsheim, ist vielfach ausgezeichnete Dokumentarfilmerin. Zuletzt erhielt sie 2022 den Grimme-Preis für Oeconomia. Durch die Arbeit am Film hat sich Losmanns Verhältnis zu Schulden verändert. „Ich hatte keine Klarheit darüber, dass wir Schulden brauchen, damit wir überhaupt über Geld verfügen. Privat hatte ich vor dem Film keine Schulden und habe auch heute noch keine. Das liegt aber auch daran, dass ich als freiberuflich tätige Filmschaffende überhaupt nicht kreditwürdig bin.“ Auch für ihren Film Work Hard – Play Hard, der die moderne Arbeitswelt unter die Lupe nimmt, gewann sie den Grimme-Preis (2014).

Was ist daran so komplex?

Wir haben ein zweistufiges Geldsystem: Aufgabe der Zentralbanken ist es nicht, unser öffentliches Geld zu erzeugen, sondern Zentralbankgeld zu produzieren. Das stellen sie den Geschäftsbanken im Tausch gegen Schuldscheine zur Verfügung. Geld ist im Kapitalismus also kein neutrales Tauschmittel, das einfach da und als feste Geldmenge im Umlauf ist.

Das müssen Sie erklären.

In Deutschland wird circa seit dem Jahr 1870 alles Geld, das wir verwenden, per Kredit erzeugt und es basiert damit auf Schulden. In der Bankbilanz entstehen also gleichzeitig Geld und Schulden: Die Bank hat das Geld, das sie einem Kunden´verleiht, nicht zuvor von einem anderen Kunden als Sparguthaben eingenommen. Es existierte vorher schlicht nicht. Nun aber kauft sich der Bankkunde davon ein Haus und bezahlt es mit dem neuen Geld von der Bank, das nun im Umlauf ist und das wiederum die gesamte Geldmenge erhöht. Der neue Hauseigentümer hat dafür Schulden bei der Bank. Mit der Tilgung reduziert sich die umlaufende Geldmenge dann wieder.

Wenn Geschäftsbanken Geld selbst erschaffen können, also quasi die Lizenz zum Gelddrucken haben, wieso sind sie dann oft so wählerisch darin, wem sie Kredite geben?

Die Lizenz zum Gelddrucken bedeutet automatisch auch die Lizenz zum Schuldenmachen – und dann hört sich das Ganze schon weniger attraktiv an. Wenn also eine Bank viele Kredite vergibt und damit viel Geld erzeugt, erzeugt sie damit automatisch auch viele Schulden. In dem Moment, in dem Kredite ausfallen und die Bank diese Kredite abschreiben muss, müsste sie diese abgeschriebenen Kredite in ihrer Bilanz mit ihrem Eigenkapital ausgleichen. Sie hat also ein Interesse daran, Geld nur an diejenigen zu verleihen, die es wahrscheinlich
zurückzahlen werden.

Dass Geld über Schulden entsteht, erscheint paradox: Wenn ich mit Bargeld beim Bäcker bezahle, ist Geld doch zunächst einmal einfach ein neutrales Tauschmittel. Ich gebe einen Schein und bekomme Brötchen.

Auch wenn das für uns erst mal kontraintuitiv wirkt, weil wir ja ganz handfeste Geldscheine im Portemonnaie haben, stimmt das Bild vom neutralen Tauschmittel nicht. Die einzelnen Geldscheine, die wir verwenden, um Brötchen zu kaufen, sind nichts anderes als Schuldscheine und gleichzeitig auch Schuldendeckungsmittel, mit dem beispielsweise der Bäcker seinen Kredit für die neue Backmaschine zurückzahlt. Wir bezahlen quasi unsere Schulden beim Bäcker mit einer anderen Form von Schulden, nämlich Zentralbankschulden in Form von Bargeld. Alle wirtschaftlichen Beziehungen sind heute eine Praxis der Ver- und Entschuldung.

Auch Bargeld entsteht durch Schulden?

Ja, auch das Bargeld gelangt nur durch Kreditaufnahme in Umlauf. In Europa etwa werden die Euro-Scheine von der Europäischen Zentralbank produziert. Allerdings wird es den privaten Geschäftsbanken, wie etwa den Sparkassen, nicht einfach so überlassen. Sie nehmen dafür einen Kredit bei der Zentralbank auf. Die Zentralbank ist im Grunde der Geldautomat der Geschäftsbanken.

Im Film wird deutlich, dass Sie das System, wie wir Geld erzeugen, sehr problematisch finden. Warum?

Ich finde die Kulturtechnik der Gelderzeugung mittels Kredit nicht grundsätzlich falsch. Im Gegenteil: Sie ermöglicht wirtschaftliche Aktivität und den Austausch von Gütern und Dienstleistungen, ohne dass vorher gespart werden muss. Aber die Art, wie Geld heute erschaffen wird, bringt auch große Probleme mit sich: Private Geschäftsbanken vergeben nur dann gerne Kredite, wenn die Stimmung gut ist, wenn die Wirtschaft floriert. Unsere öffentliche Geldversorgung ist damit abhängig von Wirtschaftswachstum – dass es aufwärtsgeht, dass es sich lohnt zu investieren und die Banken bereit sind, Geld zu erzeugen. Und sie vergeben nur Kredite an Projekte, die Profit versprechen. Wertvolle Ideen, die unser Zusammenleben als Gemeinwesen verbessern würden, bleiben in diesem System ohne Zugang zu Geld – wenn private Banken ihnen keine  Gewinnchancen ausrechnen. Ein Vorhaben, das etwa eine menschengerechte Versorgung alter Menschen zum Ziel hat, mit genügend Pflegekräften, die ausreichend Zeit für sozialen Kontakt haben, gilt unter den herrschenden Bedingungen als nicht wirtschaftlich und damit nicht finanzierbar – nur weil es nicht die Gewinnerwirtschaftung zum Ziel hat.

In Frankfurt am Main hat Fotograf Hannes Jung Licht und Schatten, Glanz und Oberfläche der Finanzindustrie eingefangen. Hier ist das Who’s who der Szene angesiedelt: von der Börse zur Europäischen Zentralbank, von Goldman Sachs bis zur Deutschen Bank.
Zwischen Wolkenkratzern und Glasfassaden tummeln sich die „modernen Cowboys“. Für Fotograf Hannes Jung sind sie die Spieler unserer Zeit. „Frankfurts Bankenviertel ist voll von ihnen, den uniformierten Soldaten des Geldes. Ihr Leben scheint Wohlstand und Einvernehmen zu atmen.“

Sie haben Angst, dass die Geldversorgung zusammenbrechen könnte ohne neues Wachstum?

Jedenfalls haben wir bis jetzt keinen Weg gefunden, für nicht profitable, aber sozial und ökologisch sinnvolle Projekte Geld zu erzeugen. Und es gibt noch ein weiteres Problem: Die umlaufende Geldmenge ist extrem ungleich verteilt. Diese Ungleichverteilung führt dazu, dass immer weniger Geld in den Taschen oder auf den Konten derjenigen ist, die tatsächlich einen Bedarf an Gütern und Dienstleistungen haben. Stattdessen sammeln sich hohe Geldvermögen bei immer weniger Akteurinnen und Akteuren an, die wiederum neue, profitträchtige Anlagemöglichkeiten suchen, für die es weitere Wachstumsmärkte braucht.

Woran liegt das?

Wer hat, dem wird gegeben. Die gegenwärtigen Kreditvergaberegeln bevorzugen jene, die über Eigenkapital verfügen, und Unternehmen, die bereits laufende gewinnbringende Geschäftsmodelle vorweisen können. Nicht die Fähigkeit, für unser Gemeinwesen einen sinnvollen Beitrag zu leisten, sondern die Höhe des vorhandenen Vermögens oder die Profitträchtigkeit der Geschäftstätigkeit bestimmen darüber, wer günstige Kredite bekommt und wer nicht . 

Dieses Profitstreben hat die Menschheit zu ungeahntem Wohlstand geführt: Weite Teile der Menschheit haben heute Zugang zu Strom und fließendem Wasser, es gibt Impfungen gegen Pocken, Krebsmedikamente. Aber Millionen Menschen leben weiterhin in extremer Armut. Müssen wir nicht mindestens weitermachen, bis es diesen Menschen auch besser geht?

Wenn Sie davon ausgehen, dass Menschen unabhängig von einem Ökosystem Erde leben können, dann könnten wir weitermachen wie bisher; bis alle Menschen angeschlossen sind an den gleichen Lebensstandard wie wir – und über Autos, Waschmaschinen, Autobahnen und so weiter verfügen. Allerdings ist es leider so, dass die Industriestaaten ein Vielfaches der Ressourcen für diesen Lebensstandard verschlingen, die die Erde im gleichen Zeitraum nachliefern kann. Ich bin absolut dafür, dass sich der Lebensstandard für alle Menschen auf der Welt angleicht. Wenn wir aber unsere Lebensgrundlage erhalten wollen, heißt das für mich: Wir müssen unseren Lebensstandard runterschrauben – und unser globales Wirtschaftssystem als funktionierendes Kreislaufsystem etablieren, indem nur so viele Ressourcen entnommen werden, wie im selben Zeitraum auch nachwachsen können.

Wir sollten unseren Wohlstand also freiwillig einschränken?

Wir brauchen weltweit eine Neuausrichtung unserer wirtschaftlichen Produktionsweise, die langlebige, sinnvolle Güter herstellt, dadurch weniger Ressourcen verbraucht und uns als globale Menschheit trotzdem mit allem Lebensdienlichen versorgt. Dabei werden wir sicher ärmer werden an Wegwerfartikeln und dafür reicher an Qualitäten, die das Leben auf anderen Ebenen wertvoller machen, etwa durch ein sich regenerierendes Ökosystem oder eine auf menschlicher Ebene angemessenere Altersversorgung.

Aber liegt im Wachstum, in technologischer Innovation, nicht auch die einzige Chance, eine Wirtschaft zu entwickeln, die weniger zerstörerisch ist?

Das Problem mit dem herrschenden System ist, dass es nicht mit einer schrumpfenden Wirtschaft funktioniert, sondern sofort zusammenbricht, wenn weniger produziert, weniger nachgefragt, weniger verbraucht wird. Rein technisch gesehen könnten wir Glühbirnen produzieren, die Jahrzehnte halten – aber sie werden nicht produziert, weil sie zu unrentabel sind. Ich habe wenig Hoffnung in technische Lösungen innerhalb dieser Systemlogik, solange sich nur die Technik durchsetzt, die Profite abwirft, und nicht diejenige, die insgesamt sparsamer ist.

Wie ließe sich das verändern?

Verändern müsste sich meiner Einschätzung nach ziemlich viel, um diese Fehlentwicklungen zu korrigieren. Beispielsweise wäre ein erster wichtiger Schritt, einen gemeinnützigen Finanzsektor in öffentlicher Hand einzurichten, der Kredite ausschließlich nach gemeinnützigen Kriterien vergibt. Dadurch könnte ein System der Geldversorgung geschaffen werden, das unabhängig von Profiterwartung funktioniert. Damit wäre zumindest die Geldversorgung von privaten Profitinteressen entkoppelt. Ich glaube allerdings, dass wir die Ideologie des Profits insgesamt infrage stellen müssten, um fundamentale Veränderungen zu bewirken.