Demokratie gehört uns allen

Drei Jahre lang, von 2017 bis 2019, hat Jennifer Lorenz als Sozialarbeiterin in der Gemeinde Hügelsheim im Landkreis Rastatt das Projekt „Startklar“ geleitet. Das Ziel: soziale und politische Teilhabe für alle Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen. Eine Bilanz.

Isabel Stettin
Lesedauer: 3 Minuten

Was ist „Startklar“?

Jennifer Lorenz „Startklar“ war ein Teil des Programms Vielfalt gefällt! Orte des Miteinanders. Mit offenen vielfältigen Angeboten zu kulturellen, rechtlichen und sozialen Themen wollten wir Zugezogene, Nichtwähler und Menschen mit Fluchterfahrung erreichen. Es war uns wichtig, zu vermitteln, wie etwa das politische System in Deutschland funktioniert und welche Möglichkeiten es gibt, sich aktiv zu beteiligen. Untereinander sollte ein Austausch entstehen und mehr Akzeptanz gegenüber anderen kulturellen Prägungen.

Warum ist das Projekt so wichtig?

Hügelsheim hat etwa 5.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Menschen aus gut 60 Nationen wie der Türkei und dem Iran, aus Kanada oder osteuropäischen Ländern leben hier, darunter rund 2.500 Spätaussiedler aus Russland. Um diese vielfältige Gemeinschaft zu stärken, brauchen wir Begegnungsorte und gegenseitiges Verständnis: Wo haben wir Gemeinsamkeiten, was verbindet uns, wie können wir voneinander lernen? Auch wenn manche den Eindruck haben, „die da oben“ machen Politik, kann in unserer Demokratie jede und jeder mitgestalten. Und darum ist es so wichtig, diese Mitbestimmungsrechte zu kennen und zu wissen, wie wir uns als Teil dieser Gesellschaft einbringen und mitwirken können. Wie kann ich als „kleine Bürgerin oder kleiner Bürger“ mit vermeintlich wenig Einfluss doch viel bewegen? Zum Beispiel durch Wahlen oder Bürgerinitiativen und in der Kommunalpolitik. Darüber wollten wir aufklären.

Jennifer Lorenz, 28, arbeitet seit Oktober 2021 als Projektmanagerin für die Diakonie Kork. Zuvor war sie fünf Jahre lang für die Gemeinde Hügelsheim als Sozialarbeiterin tätig. Neben dem Projekt „Startklar“ hat sie die Gemeinwesenarbeit inklusive der offenen Kinder- und Jugendarbeit mitgestaltet.

Wie haben Sie das geschafft?

Einmal im Monat gab es zum Beispiel ein Begegnungs-Café für alle Interessierten. Bei einem Stück Kuchen kamen Menschen ins Gespräch. In Infoveranstaltungen ging es darum, welche Werte Deutschland prägen, was Demokratie eigentlich bedeutet. Mit mehreren Reisegruppen machten wir Bildungsfahrten nach Berlin, Stuttgart und Straßburg. Wir besuchten die Parlamente, trafen Abgeordnete und erlebten Plenarsitzungen mit. Danach waren viele überrascht, sagten, jetzt verstünden sie, warum es oft so lange dauert, bis politische Entscheidungen fallen. Mit anderen Gruppen besuchten wir die Freilichtbühne, gingen ins Theater. Für mich war das Herz des Projekts ein internationaler Kochtreff für Frauen. Einheimische und Geflüchtete fanden zueinander. Jede Teilnehmerin konnte Speisen aus ihrem Land vorstellen, war zugleich Expertin und Lernende. Einige kamen direkt nach ihrer Ankunft in Deutschland zu der Runde, konnten noch kein Wort Deutsch – aber brachten sich direkt beim Spargelschälen ein. Gelebte Integration, ohne es so zu benennen. Gemeinsam etwas machen, kochen und dann zusammen essen, das verbindet.

 

Was hat es gebracht?

Die Begegnungen, die Kontakte, die Gespräche im Dorf sind schwer messbar. Viele grüßen sich nun auf der Straße. Was zwischen Menschen entsteht – die Freundschaften, dieser Austausch –, ist unendlich wichtig für das Gemeinwesen.

Schwierig war es teilweise, weitere Interessierte zu erreichen, damit möglichst viele Personen profitieren konnten. Wir wollten uns ja gerade an diejenigen wenden, die die Gemeinde mit anderen Angeboten oft nicht erreicht. Dazu war immer wieder Aufklärungsarbeit notwendig und wir mussten neue Wege der Ansprache finden – über Elternbriefe, Instagram, Facebook und WhatsApp. Insbesondere durch die Förderung der Baden-Württemberg Stiftung war es möglich, alle Angebote sehr günstig zu halten, sei es eine Fahrt in die Hauptstadt oder das Essen. Es war wirklich ein Projekt für alle, auch für die, die aus finanziellen Gründen sonst viele Freizeit- und Bildungsangebote nicht nutzen können. Ein großer Erfolg war für uns, dass die Wahlbeteiligung sowohl bei der Europawahl als auch bei den Kommunalwahlen anstieg. Was mich besonders freut: Zwei Deutsche aus Russland sind mittlerweile im Gemeinderat.

Wie geht es jetzt weiter?

Während der Corona-Pandemie waren viele Angebote in der Gemeinde nur eingeschränkt zugänglich. Darum hatten wir überlegt, wie wir die Menschen wieder in Kontakt bringen können. Gerade installieren wir Erlebnisbänke im Ort, versehen mit QR- Codes. Sie führen zu Infovideos. Für Kinder gibt es Märchen, Vereine stellen sich vor. Es gibt Beiträge zum Hintergrund von Feiertagen wie Ostern und zu Bräuchen. Der Sportverein macht kleine Videos, animiert zu Bewegung. Und die Frauen aus unserem Kochtreff sind nach wie vor aktiv: Sie veröffentlichen bald ein Buch, voll mit Rezepten aus aller Welt.