Glosse
Mythos und Marketing: Der werbewirksame Zwist um die Donauquelle

Mythos und Marketing: Der werbewirksame Zwist um die Donauquelle

Gunter Barner
Lesedauer: 1,5 Minuten

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Es gibt Fragen, die der Quellenforschung ewige Bedeutung garantieren. Wie jene nach der Erfindung der Brezel. Oder die nach dem Ursprung der Donau. Denn eigentlich ist ja alles besprochen. Nur noch nicht von jedem. Die Zweifler stricken unablässig an Mythen und Legenden. Und finden dankbare Abnehmer in einem Publikum mit der unstillbaren Sehnsucht nach Romantik.

Der Buchhändler in Donaueschingens Hauptstraße blickt zufrieden über den Rand seiner Brille. Touristinnen und Touristen auf der Jagd nach Devotionalien fluten in profitabler Frequenz seinen Laden. Er deutet mit knitzer Miene auf den Lesestoff im Regal: einen schicken Bildband über die hiesige Donauquelle, für 29 Euro. Mythos und Marketing. Das passt wie Topf und Deckel.

Zwar fließen in der kleinen Schwarzwaldstadt nicht nur Milch und Honig, aber den einen oder anderen Euro spült der werbewirksame Streit zwischen Donaueschingen und Furtwangen um den Ursprung der europäischen Lebensader in die Kasse. Im fürstlichen Schlosspark drängen sich jedenfalls die Touristinnen und Touristen, die ergriffen auf den sprudelnden Quelltopf blicken. Von Skulpturen monumental gesäumt, nimmt die Donau, nach der Wolga der zweitlängste europäische Fluss, ihren spektakulären Anfang.

Oder auch nicht. Wissenschaftler, Hobbygeologen und Heimatforscher streiten seit jeher um den eigentlichen Ursprungsort des Flusses, der in zehn europäischen Ländern für Geschichte und Geschichten sorgt, ehe er nach 2.850 Kilometern – unbeeindruckt vom Schwarzwälder Getöse um beweissichere Quellenangaben – ins Schwarze Meer mündet.

Vormals eckig eingefasst (im Bild ein Stich, der um 1850 entstand), seit 1875 rund ummauert: die Donauquelle in Donaueschingen.

Vor Jahren dann die Hiobsbotschaft für Donaueschingen: Der Tourismusmagnet drohte seine Exklusivität zu verlieren, als eine fast schon unlautere Frage das Innenministerium des Landes erreichte. Schultes und Rat der Gemeinde Furtwangen ersuchten, ebenfalls das einträgliche Attribut „Donauquellstadt“ im Ortsschild führen zu dürfen. Denn nördlich des Städtchens, das rund 30 Kilometer von Donaueschingen entfernt liegt, entspringt bei der Martinskapelle unterhalb des Kolmenhofs die Breg. Sie vereinigt sich bei Donaueschingen mit der 43 Kilometer langen Brigach, die im Keller eines Bauernhauses bei St. Georgen entspringt. Aus der Karstaufstoßquelle des Donaubachs im fürstlichen Schlosspark sprudeln zwar 50 bis 150 Liter Wasser pro Sekunde, doch schon nach einer kurzen Strecke fließt er unterirdisch in die Brigach. Schulkinder können den Reim seit Generationen im Schlaf aufsagen: „Brigach und Breg bringen die Donau zu Weg.“

Als stünde der Landespolitik im fernen Stuttgart in der Donaufrage das Wasser nicht schon bis zum Hals, steuerten Fachleute als mögliche Quelle noch den Krähenbach bei Tuttlingen-Möhringen bei, der die Donau nach ihrer Versickerung zwischen Immendingen und Möhringen als erster Zufluss wieder mit Wasser versorgt. Ein halbes Jahr lang brütete die letzte Donauinstanz in Stuttgart, dann verkündete der stellvertretende Ministerpräsident und Innenminister Thomas Strobl das salomonische Urteil: Die Quelle in Donaueschingen bleibt aus historischen Gründen unangetastet, weil sie urkundlich nachgewiesen schon seit 1488 in der Stadt sprudelt. Furtwangen darf sich fortan ebenfalls „Donauquellstadt“ nennen, weil der Bregursprung aus Sicht der Wissenschaft als eigentliche Quelle zu gelten hat. Der Krähenbach zählt nicht als Quelle, weil die Donau dort mehr als die Hälfte des Jahres im Boden verschwindet.

Es kam, wie das Stockacher Narrengericht schon 1984 vermutete: „Der Streit ist viel zu schön, um durch ein Urteil für alle Zeit beendet zu werden.“

Aus noch unbestätigter Quelle in Stuttgart verlautet inzwischen, die Marketingexperten in Donaueschingen und Furtwangen hätten womöglich bei ihrem werbeträchtigen Zwist die Folgen nicht bedacht: Das Finanzministerium überlege ernsthaft, eine Quellensteuer zu erheben.