Interview
Überleben im Wasser

Ertrinken ist eine der häufigsten Todesursachen bei Kindern. Auch bei Erwachsenen steigt die Zahl tödlicher Badeunfälle. Schwimmen zu lernen ist überlebenswichtig – und doch können es immer weniger Menschen. Ein Gespräch mit Albert Hug von der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft e. V. (DLRG) Titisee-Neustadt über die Hintergründe und darüber, wie man sich im Wasser schützt.

Sabine Fischer
Lesedauer: 2,5 Minuten

Wasserort Titisee-Neustadt
D

Die Zahl der Grundschulkinder, die nicht schwimmen können, hat sich seit 2018 verdoppelt. Woher kommt das?

Die Schwimmfähigkeit hat vor allem während der Coronapandemie massiv abgenommen. In dieser Zeit gab es keinen Sport- oder Schwimmunterricht und Schwimmbäder waren geschlossen. Geschätzt etwa 100.000 Kinder in Baden-Württemberg haben seitdem nicht oder nicht sicher schwimmen gelernt. Wir bieten daher einen zusätzlichen Schwimmkurs für Kinder an. Die Nachfrage ist groß: Unsere Kurse sind voll und wir führen Wartelisten.

Ab wann gilt ein Mensch überhaupt als schwimmsicher?

Dafür sollte man das Schwimmabzeichen „Bronze“ haben, also 15 Minuten lang ohne Pause und mindestens 200 Meter weit schwimmen können. Das „Seepferdchen“ ist der Einstieg – also ein wichtiger Start für Kinder. Dafür müssen sie lediglich 25 Meter weit schwimmen und kleinere Aufgaben erledigen. Kinder, die nur das „Seepferdchen“ haben, sollten daher nicht unbeaufsichtigt baden. 

Im Jahr 2022 hatten besonders Menschen zwischen 50 und 60 Jahren überdurchschnittlich viele Badeunfälle. Warum können Erwachsene nicht oder nicht gut schwimmen?

Bei unseren Erwachsenenschwimmkursen hören wir unterschiedliche Gründe. Manche sind zum Beispiel in Regionen aufgewachsen, in denen es kaum Gewässer gibt, und hatten daher nie Schwimmunterricht. Andere haben einen Migrationshintergrund und kommen aus kulturellen Gründen erst spät mit dem Thema in Berührung. Wieder andere sind in der Schule durchgerutscht und haben es danach nie mehr richtig gelernt. Wir fragen den Grund aber nicht ab: Ich bin froh, wenn Erwachsene den Mut finden, sich einzugestehen, dass das Nicht-Schwimmen-Können ein Problem ist, und den Schritt machen, mit uns daran zu arbeiten.

Wie sehen Schwimmkurse für Erwachsene aus?

Während wir mit Kindern eher spielerisch an die Sache herangehen, können wir bei Erwachsenen mehr mit Erklärungen und Hinweisen arbeiten. Außerdem trainieren wir nicht in größeren Gruppen, sondern mit maximal drei Personen. Das liegt unter anderem daran, dass die Erwachsenen ganz unterschiedliche Bedürfnisse haben. Es gibt Leute, die noch gar nichts können, und solche, die gezielt einen zusätzlichen Schwimmstil lernen wollen. Was mir aber bei allen auffällt: Ängste vor dem Wasser sind bei Erwachsenen tiefer verwurzelt als bei Kindern. Man kann zwar mehr erklären, kommt aber langsamer voran.

Auch die Zahl der tödlichen Badeunfälle steigt, sagt die DLRG-Statistik: Im Jahr 2022 sind in Deutschland 355 Menschen ertrunken, 56 mehr als im Jahr zuvor. Woran liegt das?

Meiner Einschätzung nach geht das mit der gesunkenen Schwimmfähigkeit, aber auch mit warmen Sommern einher, in denen viel mehr Menschen schwimmen gehen. Je nach Gewässer gibt es unterschiedliche Gefahren: scharfe Kanten oder rutschige Oberflächen im Schwimmbad, plötzliche Temperaturunterschiede oder Wetterlagen an Badeseen. In Seen ertrinken die meisten Menschen.

Wie sollte man reagieren, wenn man einen Badeunfall beobachtet?

Einen Badeunfall muss man erst mal erkennen: Meistens geht er viel leiser vonstatten, als man sich das vorstellt. Die Betroffenen sind so damit beschäftigt, über Wasser zu bleiben, dass sie nicht um Hilfe rufen. Aufmerksam werden sollte man, wenn jemand unkoordinierte Schwimmbewegungen macht. Dann sollte man andere Menschen dazuholen und den Notruf verständigen. Entscheidet man sich, selbst ins Wasser zu gehen, sollte man ein Auftriebsmittel mitnehmen – zum Beispiel einen Ast oder eine Luftmatratze. Daran kann sich die Person in Not festklammern.

Wie kann man sich selbst vor Badeunfällen schützen?

Über 80 Prozent der Badeunfälle werden durch menschliches Fehlverhalten verursacht – zum Beispiel, weil man die Wassertiefe falsch einschätzt oder alkoholisiert schwimmen geht. Generell sollte man größere Strecken nie alleine schwimmen oder eine Leuchtboje mitnehmen, die sich an der Badekleidung befestigen lässt. So etwas rettet im Zweifelsfall Leben. 

Montags hält die DLRG hier ihre Schwimmkurse ab, oft geleitet von Albert Hug (Mitte).

Albert Hug, 57, meisterte 1984 sein erstes Rettungsschwimmabzeichen, seither engagiert er sich aktiv bei der DLRG. Als Ausbilder in Titisee-Neustadt leitet er heute vor allem Schwimmkurse für Kinder und Erwachsene. In Baden-Württemberg geht er am liebsten am Bodensee baden: Hug hat in Konstanz studiert und dabei die vielen schönen Badestellen – zum Beispiel das Hörnle – lieben gelernt. Die Schwimmkurse der DLRG-Ortsgruppe Titisee-Neustadt finden im Badeparadies Schwarzwald statt.