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16,55 Euro pro Quadratmeter beträgt der durchschnittliche Mietpreis in Stuttgart. Mehr zahlt man nur in München und Frankfurt am Main. Auf Platz 5: Freiburg. Landesweit geben Haushalte rund 33 Prozent ihres Konsumbudgets für Wohnen und Energie aus. Wie lässt sich günstiger, aber lebenswerter und klimagerechter Wohnraum schaffen – insbesondere für einkommensschwächere Menschen? Eine Bildserie architektonischer Antworten aus aller Welt.

Isabel Stettin
Lesedauer: 4 Minuten

RoofKIT: preisgekrönte Vision aus Karlsruhe

RoofKIT will hoch hinaus. Der Thinktank des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) hat eine Vision für das Bauen im 21. Jahrhundert entwickelt: Vorgefertigte Holzmodulsysteme sollen den Bauprozess schneller und kostengünstiger machen, Dachflächen Sonnenenergie einfangen. Ziel ist es, erschwingliche, hochwertige Wohnungen zu bauen. Zentral ist der Kreislaufgedanke: Es wird auf Klebstoffe, Imprägnierungen, Farben und Verbundstoffe verzichtet. Zudem kommen alte und recycelte Baumaterialien zum Einsatz, etwa Fenster aus abgerissenen Gebäuden, Küchenarmaturen aus Messerückbauten und recyceltes Kupfer. Mit diesem Konzept hat RoofKIT im Juni 2022 den „Solar Decathlon Europe“ gewonnen – einen der wichtigsten Wettbewerbe für Studierende im Bereich Architektur und Bauwesen. Dazu baute das Team ein Demonstrationsprojekt inklusive Wohneinheiten. RoofKIT setzt sich aus Studierenden unterschiedlicher KIT-Fachbereiche zusammen.

Cité du Grand Parc: sanierte Großwohnsiedlung in Bordeaux

Umbau statt Neubau: Die französischen Architekten Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal, 2021 ausgezeichnet mit dem Pritzker-Preis, setzen auf die Sanierung von Sozialwohnungen. In der Cité du Grand Parc haben sie 2017 drei Wohnblöcke aus den 1960er-Jahren mit mehr als 4.000 Einheiten saniert, ohne dass die Bewohnerinnen und Bewohner ausziehen mussten. Die einzelnen Wohnungen wurden zudem um einen knapp vier Meter breiten Wintergarten und einen schmalen Balkon erweitert – für rund ein Drittel der Kosten, die bei einem Abriss und Wiederaufbau angefallen wären. Die Miete stieg nach dem Umbau nicht an. Neben Geld spart diese Sanierungsstrategie CO2. Ein Abriss hätte doppelt so viele Emissionen verursacht.

Tower Hatert: futuristischer Wohnturm in den Niederlanden

Inspiriert von der Natur: Die Balkone des Tower Hatert bestehen aus Holz und sind wellenförmig zur Sonne ausgerichtet – wie die Blätter eines Baumes. Damit alle Bewohnerinnen und Bewohner ausreichend Licht und einen freien Blick auf ihre Umgebung erhalten, hat das Rotterdamer Büro 24H Architecture die Länge der Balkone variiert. Dadurch wurde das 13-stöckige Gebäude, mit dem die niederländische Stadt Nijmegen den Wohnungsbau belebt hat, auch zu einem spannenden Fotomotiv. Je nach Blickwinkel sieht das Gebäude, das 72 Sozialwohnungen sowie ein Gesundheitszentrum beherbergt, immer anders aus. Der Tower Hatert wurde 2011 fertiggestellt, die Baukosten betrugen 12,5 Millionen Euro.

Baiziwan: grüne Oase in Peking

Eine neue Perspektive für das Wohndesign in China: Das Architekturbüro MAD Architects wurde vom Pekinger Zentrum für öffentlichen Wohnungsbau damit beauftragt, die Lebensbedingungen einkommensschwacher Menschen zu verbessern. Entstanden ist Baiziwan: zwölf Wohngebäude für insgesamt 4.000 Haushalte, ausschließlich ärmere Menschen und junge Berufstätige. Das Projekt befindet sich in der Nähe des zentralen Geschäftsviertels in Peking und erstreckt sich über eine Gesamtbaufläche von insgesamt 473.300 Quadratmetern. Ziel von MAD Architects war es, die Menschen im Viertel untereinander und mit der Stadt zu verbinden. Dazu wurde das Grundstück in sechs Blöcke unterteilt, die von einer Hauptallee in der Mitte des Geländes durchzogen werden. Dort finden sich Läden, Cafés, Restaurants, Kindergärten, Apotheken, Buchhandlungen und Altenpflegeeinrichtungen. Ein Fußgängerrundweg schlängelt sich um alle Wohnblöcke und verbindet Fitnessgeräte, Spielplätze und Naturbereiche zu einem großen Park.

The Trudo Vertical Forest: die hängenden Gärten von Eindhoven

Der erste Sozialwohnungswald der Welt: Der italienische Stararchitekt Stefano Boeri wollte zeigen, dass das Leben im Grünen kein Privileg reicher Leute ist. Im niederländischen Eindhoven entstand ein 70 Meter hoher Wohnturm, dessen Fassaden 135 Bäume und 10.000 kleinere Sträucher und Pflanzen zieren. Die 19 Stockwerke beherbergen 125 Wohnungen mit je 50 Quadratmetern und einer begrünten Terrasse – zu erschwinglichen Mietpreisen. Die Wohnungen werden an Menschen mit geringem Einkommen, Asylsuchende und Personen mit Behinderungen vermietet. Die hängenden Gärten dienen auch als Schalldämpfer. Da das Büro Boeri bereits weltweit diverse vertikale Wohnwälder realisiert hat, konnten aufgrund der gesammelten Erfahrungen und mit vorgefertigten Elementen die Baukosten stark gesenkt werden. Das Bekenntnis zu unserem Rechtsstaat und zu unserer Verfassung ist der gemeinsame Grund, auf dem wir uns alle bewegen.

Tiny Houses: Microliving in Schorndorf

Wohnen auf kleinstem Raum: Im baden-württembergischen Schorndorf stehen die landesweit ersten Tiny Houses auf städtischen Grünflächen. Aktuell vermietet die Stadt im Lindenweg fünf Grundstücke mit einer Fläche von 120 bis 150 Quadratmetern, auf denen die Minihäuser errichtet werden dürfen. Die Wohnflächen betragen bis zu 35 Quadratmeter. Attraktiv ist diese Form des Microliving, des Wohnens auf kleinstem Raum, für Menschen mit einem minimalistischen, ressourcenschonenden und umweltbewussten Lebensstil. Die Stadt versteht das Projekt als Experiment. Nachdem erste Erfahrungswerte aus dem Lindenweg vorliegen, sollen weitere Flächen geprüft werden. Im Bild ist ein Miniwohnhaus von TINY HOMELAND aus dem Großraum Stuttgart zu sehen, das dem ersten offiziellen Tiny House in Schorndorf entspricht.

Le Lorrain: moderner Sozialbau in Brüssel

Industrielles Erbe: Aus einem alten Eisenhandelsgebäude in der belgischen Hauptstadt Brüssel entstand 2011 ein neuer Komplex, der die Spuren der industriellen Geschichte des Viertels integriert. Das vom belgischen Büro MDW Architecture entworfene Sozialwohnungsbauprojekt Le Lorrain besteht aus einem Apartmentgebäude und drei Maisonette-Reihenhäusern im hinteren Teil des Grundstücks. Als Kontrast zum Industriedesign wurden Holzelemente für Türen, Fenster, Geländer und Terrassen verwendet. Der Komplex verfügt über einen großen offenen Gemeinschaftsplatz, den alle Bewohnerinnen und Bewohner nutzen können und der als Spielplatz und Treffpunkt das Herz der Anlage bildet.

Mirador: Wohnprojekt in Madrid

Ein Sky Plaza in 40 Metern Höhe: Der vom niederländischen Architekturbüro MVRDV entworfene Mirador, ein 22-stöckiges Hochhaus im Madrider Stadtteil Sanchinarro, hat eine riesige Öffnung in der Mitte. Der Außenbereich bietet einen grandiosen Blick auf das in der Ferne liegende Guadarrama-Gebirge. Zugleich dient der Platz als Gemeinschaftsgarten für die Bewohnerinnen und Bewohner des Gebäudes. Das Projekt wurde 2005 von der Stadt Madrid mit dem Preis für das beste Design im Wohnungsbau ausgezeichnet, obwohl es erst 2012 fertiggestellt wurde. Es umfasst 165 Sozialwohnungen.

Quinta Monroy: halbe Häuser in Chile

Schrittweises Bauen: Der chilenische Architekt Alejandro Aravena konzentriert sich in seiner Arbeit auf die Gestaltung von kostengünstigem Wohnraum für arme und durch Naturkatastrophen obdachlos gewordene Menschen. Bekannt geworden ist er 2004 mit dem Bau der Wohnanlage Quinta Monroy im chilenischen Iquique. Die pragmatische Idee: Eine Hälfte der Häuser wird gebaut, die andere können die Bewohnerinnen und Bewohner nach und nach selbst ausbauen. Die Kosten eines Hauses mit Grundstück? Etwa 23.000 US-Dollar. Der Staat steuert bis zu 20 Prozent der Baukosten bei, die Käuferin oder der Käufer leistet eine Eigenbeteiligung von zehn Prozent, die restliche Summe wird über Bankdarlehen finanziert. Mittlerweile wurden Tausende dieser Bauten in Mittel- und Südamerika errichtet. Aravena erhielt 2016 den Pritzker-Preis.

Triple-Zero-Gebäude: dreifach nachhaltig in Stuttgart

Der Stuttgarter Architekt Werner Sobek ist ein Vordenker im Bereich des ökologischen Bauens. Viele seiner Häuser entstehen in Modulbauweise. Das senkt nicht nur die Emissionen, sondern spart Zeit, Kosten und Material. Zudem können die Bauten auseinandergenommen und alle Bauteile wiederverwendet werden. Auf einem steilen Grundstück am Rande des Stuttgarter Talkessels hat Sobek zudem das erste Triple-Zero-Gebäude der Welt gebaut. Das Haus spart an drei Stellen: Es verbraucht nicht mehr Energie, als es im Jahresdurchschnitt aus nachhaltigen Quellen selbst erzeugt, es ist emissionsfrei errichtet und vollständig recycelbar.