Unsere Würde wahren
Warum bin ich auf der Welt? Das ist die zentrale Frage, die Menschen befähigt, Visionen nicht nur zu entwickeln, sondern mit der nötigen Leidenschaft auch umzusetzen. Sie macht uns zu Gestalterinnen und Gestaltern. Zuerst unseres eigenen Lebens und dann der Welt. Jedes Mal, wenn wir das erleben, gibt es uns Kraft und den Mut, es wieder zu tun.
Intrinsisches Handeln ist dabei weit mehr als bloße Aktivität. Es ist ein In-der-Welt-Sein – und für Gerald Hüther die Grundlage eines würdevollen Lebens. Aus neurobiologischer Sicht ist Würde genau die Antwort auf die Frage nach dem individuellen Lebenssinn. Andere glücklich machen, die Natur erhalten, Fortschritt bewirken, etwas zum Wachsen bringen – das ist Menschen elementar wichtig. Wenn es uns gelingt, Handeln mit Sinn zu verknüpfen, wahren wir unsere Würde. Wie es gelingt? Auch das trainieren wir. Doch kommt die Belohnung dafür nicht von außen, sondern indem wir die Wirksamkeit unseres eigenen Handelns erleben. Schon bei unserer Geburt haben wir eine Vorstellung davon. Ein Baby schreit, wenn es Hunger hat. Wird es dann gefüttert, erfährt es: Ich bewirke mit meinem Handeln etwas, ich werde von anderen gesehen, ich kann einen Zustand verändern. Nur indem wir die Erfahrung dieser sogenannten Selbstwirksamkeit immer wieder machen, können wir unser Selbstbild festigen und gegen andere verteidigen. „Jemand, der sich seiner eigenen Würde bewusst geworden ist, ist auch nicht mehr verführbar“, sagt Hüther in einem Interview. „Der weiß ja, was er will. Das ist wie ein innerer Kompass, der einen Menschen im Leben leitet und der dazu führt, dass er sich nicht wieder verliert, dass er bei sich bleibt: bei sich als gestaltendem Subjekt.“
Selbstbild, innere Stimme, Bauchgefühl – es gibt viele Umschreibungen für diese leitende Kraft, die wir in uns tragen. Das Selbstbild ist ein fragiles Konstrukt. Es kann ins Wanken geraten. Verlernen wir es zu achten und danach zu handeln, geraten wir ins berüchtigte Hamsterrad – ein Leben, das von äußeren Vorgaben bestimmt ist. Und aus dem kommen wir nur schwer wieder heraus. Dazu brauchen wir die Begegnung mit anderen Menschen, aber nicht in Form von fremden Ratschlägen, die wir blind übernehmen. Vielmehr müssen wir alle unsere eigene Stimme und Haltung finden. Doch ein Ratgeber kann uns inspirieren, uns wieder an die Kraft unserer intrinsischen Motivation und unseres Handelns zu erinnern. Daraus kann ein Wandel beginnen, mit einem Perspektivwechsel, einem Innehalten. Will ich das wirklich? Bin ich das, was ich tue? Vielleicht sind die zwei, drei Kilo zu viel, die uns schon so lange begleiten, tatsächlich ein Problem. Vielleicht sind sie aber auch ein Hinweis, dass wir zu sehr dem Bild anderer entsprechen wollen und nicht unserem eigenen. Seinem Herzen zu folgen gibt mehr Energie als ein Schokoriegel. Dann bewirken wir etwas. Und das könnte die Welt zu einem besseren Ort machen als jede Diät.