Handeln

Die Welt braucht Macherinnen und Macher, die aus innerem Antrieb handeln. Wie lernen wir, unser Selbstbild zu festigen – und über uns selbst hinauszuwachsen?

Lisa Rüffer
Lesedauer: 3 Minuten

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Zwei, drei Kilo könnten schon runter. Und, ja, man weiß es ja selbst, dass Zucker kein Grundnahrungsmittel ist. Man müsste, könnte, sollte mal eine Zeit lang darauf verzichten. Jede und jeder kennt sie: diese eine Sache, die man ändern will. Aber warum fällt es so schwer, einen Vorsatz tatsächlich in die Tat umzusetzen? Wie kommen wir von der Idee ins Handeln?

Im Netz geben Coaches jede Menge Ratschläge. Du willst dreimal die Woche Sport machen? Mach das Joggen zur Gewohnheit! Du willst mit dem Rauchen aufhören? Erzähle anderen davon! So baust du Druck auf und überlistest deinen inneren Schweinehund. Diese lebenspraktischen Tipps sind häufig an persönliche Geschichten geknüpft. Die US-amerikanische Fernsehanwältin und Motivationstrainerin Mel Robbins erzählt, wie sie als erfolgreiche, mitten im Leben stehende Frau in eine Krise stürzte. In ihrer Ehe rumorte es, sie wurde arbeitslos und war fast pleite. Eine Depression machte sie handlungsunfähig. Obwohl sie wusste, dass sie aktiv werden musste, um ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen, war die Antriebslosigkeit riesig. Allein das Aufstehen am Morgen wurde so zu einer schier unüberwindbaren Hürde. Robbins erfand für sich die Fünfsekundenregel: Jedes Mal, wenn sie dachte: „Eigentlich müsste ich jetzt …“, zählte sie rückwärts bis fünf und fing spätestens in der letzten Sekunde einfach an. Schritt für Schritt nahm sie so Veränderungen vor, die sie aus der Angst zurück ins Leben brachten. Ihr Buch zur Fünfsekundenregel ist bis heute einer der Topseller der Selbsthilfeliteratur.

Vom Tun ins Handeln 

Solche Tipps funktionieren tatsächlich, um vom Sofa hochzukommen. Das Tun lässt sich trainieren wie ein Muskel. Und wir können das Training unterstützen, indem wir uns dafür belohnen. Doch aktiv zu werden und so zu handeln, dass es uns glücklich macht, sind zwei verschiedene Dinge. Das gab auch Apple-Gründer Steve Jobs 2005 den Absolventinnen und Absolventen der Stanford University in seiner berühmten Rede mit: „Deine Zeit ist begrenzt. Verschwende sie nicht damit, das Leben eines anderen zu leben. Lass nicht zu, dass der Lärm anderer Menschen deine eigene innere Stimme übertönt. Hab den Mut, deinem Herzen und deiner Intuition zu folgen.“

Dieses Zitat hängt heute als Plakat im Flur mancher Start-ups. Es untermauert den Wert des aus uns selbst heraus motivierten Handelns.

Wenn wir den Regeln anderer entsprechend aktiv werden – wenn wir wie der Hund dem geworfenen Stöckchen nachrennen –, ist das eine extrinsische, also von außen erzeugte Motivation. Handeln ist aber erst dann erfüllend, wenn es uns zum Subjekt unseres Tuns macht. Gerald Hüther, Neurobiologe und Vorstand der Akademie für Potenzialentfaltung in Göttingen, ist Fachmann für diese intrinsisch genannte Motivation. Für ihn gehört zum glücklichen Handeln mehr als sich Ziele zu setzen; wir sollten verfolgen, was uns wirklich am Herzen liegt. „Ein Anliegen“, sagt Hüther, „ist eine Orientierung für das, was man tut. Es verhindert, dass man sich durch kurzfristige Ziele ablenken lässt. Es gibt eine Richtung für die eigene Weiterentwicklung und das eigene Handeln.“ 

Unsere Würde wahren

Warum bin ich auf der Welt? Das ist die zentrale Frage, die Menschen befähigt, Visionen nicht nur zu entwickeln, sondern mit der nötigen Leidenschaft auch umzusetzen. Sie macht uns zu Gestalterinnen und Gestaltern. Zuerst unseres eigenen Lebens und dann der Welt. Jedes Mal, wenn wir das erleben, gibt es uns Kraft und den Mut, es wieder zu tun.

Intrinsisches Handeln ist dabei weit mehr als bloße Aktivität. Es ist ein In-der-Welt-Sein – und für Gerald Hüther die Grundlage eines würdevollen Lebens. Aus neurobiologischer Sicht ist Würde genau die Antwort auf die Frage nach dem individuellen Lebenssinn. Andere glücklich machen, die Natur erhalten, Fortschritt bewirken, etwas zum Wachsen bringen – das ist Menschen elementar wichtig. Wenn es uns gelingt, Handeln mit Sinn zu verknüpfen, wahren wir unsere Würde. Wie es gelingt? Auch das trainieren wir. Doch kommt die Belohnung dafür nicht von außen, sondern indem wir die Wirksamkeit unseres eigenen Handelns erleben. Schon bei unserer Geburt haben wir eine Vorstellung davon. Ein Baby schreit, wenn es Hunger hat. Wird es dann gefüttert, erfährt es: Ich bewirke mit meinem Handeln etwas, ich werde von anderen gesehen, ich kann einen Zustand verändern. Nur indem wir die Erfahrung dieser sogenannten Selbstwirksamkeit immer wieder machen, können wir unser Selbstbild festigen und gegen andere verteidigen. „Jemand, der sich seiner eigenen Würde bewusst geworden ist, ist auch nicht mehr verführbar“, sagt Hüther in einem Interview. „Der weiß ja, was er will. Das ist wie ein innerer Kompass, der einen Menschen im Leben leitet und der dazu führt, dass er sich nicht wieder verliert, dass er bei sich bleibt: bei sich als gestaltendem Subjekt.“ 

Selbstbild, innere Stimme, Bauchgefühl – es gibt viele Umschreibungen für diese leitende Kraft, die wir in uns tragen. Das Selbstbild ist ein fragiles Konstrukt. Es kann ins Wanken geraten. Verlernen wir es zu achten und danach zu handeln, geraten wir ins berüchtigte Hamsterrad – ein Leben, das von äußeren Vorgaben bestimmt ist. Und aus dem kommen wir nur schwer wieder heraus. Dazu brauchen wir die Begegnung mit anderen Menschen, aber nicht in Form von fremden Ratschlägen, die wir blind übernehmen. Vielmehr müssen wir alle unsere eigene Stimme und Haltung finden. Doch ein Ratgeber kann uns inspirieren, uns wieder an die Kraft unserer intrinsischen Motivation und unseres Handelns zu erinnern. Daraus kann ein Wandel beginnen, mit einem Perspektivwechsel, einem Innehalten. Will ich das wirklich? Bin ich das, was ich tue? Vielleicht sind die zwei, drei Kilo zu viel, die uns schon so lange begleiten, tatsächlich ein Problem. Vielleicht sind sie aber auch ein Hinweis, dass wir zu sehr dem Bild anderer entsprechen wollen und nicht unserem eigenen. Seinem Herzen zu folgen gibt mehr Energie als ein Schokoriegel. Dann bewirken wir etwas. Und das könnte die Welt zu einem besseren Ort machen als jede Diät. 

Aus der Stiftung – Gesellschaft & Kultur

PUSH DICH!

Einfach loslegen und machen! Und das Programm PUSH DICH! macht so einiges möglich. Ob Urban Gardening, Tanz, Gaming oder Cosplay: Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren, die Spaß an Kunst und Kultur haben, können mit Freundinnen und Freunden ihr eigenes Kreativprojekt umsetzen – mit finanzieller Unterstützung der Baden-Württemberg Stiftung. Mehr Infos unter:

www.push-dich-bw.de