Politische Bildung ist die Langstrecke

Seit 2014 dürfen Jugendliche ab 16 Jahren in Baden-Württemberg bei Kommunalwahlen ihre Stimme abgeben. Aber wie geht das Wählen? Durch das Projekt „In Zukunft mit UNS!“ wurden Erstwählende informiert. Eine Bilanz von Projektkoordinator Nikolaj Midasch.

Isabel Stettin
Lesedauer: 3 Minuten

Was ist „In Zukunft mit UNS!“ – Wahl ab 16?

Nikolaj Midasch Zur Kommunalwahl 2014 wurde das Wahlalter von 18 auf 16 Jahre herabgesetzt. Rund 850.000 junge Menschen in Baden-Württemberg konnten zum ersten Mal wählen. Ihre Fragen wollten wir klären: Was mache ich mit all diesen Stimmzetteln? Wofür sind Kommunen eigentlich zuständig? Und was hat das Ganze mit mir zu tun?

Warum ist das Projekt so wichtig?

Politische Beteiligung ist für eine Demokratie unverzichtbar: Je mehr Bürgerinnen und Bürger sie mitgestalten, desto lebendiger wird sie. Wir wollten Jugendliche ermutigen, aktiv zu werden. Indem sie von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, ihre Rechte kennen und Selbstvertrauen haben: Kann ich mich trauen, einfach mal in die Gemeinderatssitzung zu gehen? Und wie kann ich in meiner Stadt auch außerhalb von Wahlen etwas verändern? Ziel war es, Jugendliche zu motivieren und zu befähigen, sich aktiv für ihre eigenen Belange und für mehr Demokratie in ihrem Umfeld einzusetzen. Und damit für eine Verbesserung der eigenen Lebensbedingungen.

Wie wurde es umgesetzt?

Zunächst entwickelten wir zu den Kommunalwahlen 2014 Infomaterial, wie eine Kommunalwahl abläuft. Insgesamt haben dazu mehr als 380 Aktionstage im ganzen Land stattgefunden, bei denen Jugendliche intensiv politische Fragen diskutierten. Mit Plan- und Rollenspielen zeigten wir zudem anschaulich, welche Akteure es gibt. An manchen Orten waren ganze Schulklassen oder Jahrgänge beteiligt, bei Großveranstaltungen Gruppen von 20 bis 200 Menschen. So haben wir insgesamt mehrere Tausend Jugendliche erreicht. Hinzu kamen Kampagnen, die die Landeszentrale für politische Bildung beigesteuert hat, bei YouTube und Facebook. In einer zweiten Projektphase konnten wir über die Wahlen hinausgehend nachhaltige Strukturen der Jugendbeteiligung ermöglichen, Demokratie vorleben und lernen: im Alltag, in den Gemeinden, in den Schulen und besonders auch in von Jugendlichen selbst organisierten Strukturen wie Vereinen, Verbänden und Initiativen. Wir bildeten mehr als 100 junge Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus. Dazu haben wir auch Fortbildungen und Fachtage angeboten – für Sozialarbeitende und oftmals leitende Personen in den kommunalen Verwaltungen, die ihre Strukturen mehr auf Partizipation anlegen und eine selbstbewusste Jugend fördern statt blockieren möchten.

Nikolaj Midasch, 39, war von 2013 bis 2021 Projektkoordinator für „In Zukunft mit UNS!“ und Wir sind dabei! beim Landesjugendring Baden-Württemberg und Referent im Fachbereich Weltoffene Jugendarbeit. Aktuell ist er für das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund im Projekt Generation Europe – The Academy aktiv.

Was hat es gebracht?

Wir haben die Aktionstage sehr ausführlich evaluiert. Die Ergebnisse zeigen uns, dass wir es offenbar geschafft haben, Jugendliche für Politik zu begeistern. Für viele war es ein „Aha-Erlebnis“, wie Kommunalpolitik das eigene Leben spürbar beeinflusst: ob das Jugendzentrum von Ehrenamtlichen geführt wird oder von Vollzeitkräften, wie über die Schließung des Freibads oder einen neuen Spielplatz verhandelt wird. Seit dem Projektstart fanden zwei Kommunalwahlen statt, bei denen Jugendliche ab 16 Jahren wählen durften. Das Statistische Landesamt hatte aus rechtlichen Gründen die Wahlbeteiligung junger Menschen nicht gesondert erfasst. Doch von einigen größeren Kommunen in Baden-Württemberg wie Freiburg, Esslingen oder Ulm, die jeweils eigene Erhebungen durchgeführt haben, wissen wir, dass die Beteiligung bei den Erstwählerinnen und Erstwählern höher oder zumindest genauso hoch war wie bei den älteren Erwachsenen. Auswertungen zeigten aber auch, wie wichtig es ist, die zu erreichen, die zum zweiten, dritten Mal wählen. In dieser Gruppe sank die Wahlbeteiligung im Vergleich zu den Erstwählenden sichtbar.

Wie geht es jetzt weiter?

Mit unserem Projekt konnten wir nicht nur Jugendliche informieren, sondern auch deutlich machen, wie bewusst diese sich mit politischen Entscheidungen auseinandersetzen. Mich freut es, dass der Landtag von Baden-Württemberg Anfang April beschlossen hat, das aktive Wahlrecht auch bei Landtagswahlen auf 16 Jahre zu senken. Das ist aus meiner Sicht eine wichtige Entwicklung und ein guter Anlass für weitere Demokratiebildung mit Blick auf Partizipation und „Empowerment“. Politische Bildung bedeutet für mich Langstrecke: kontinuierlich und nicht nur anlassbezogen, kurz vor der Wahl. Wir brauchen die Stimmen der Jugend in unserer Gesellschaft.