Zweifel haben – oder das Experiment wagen?

Der Weg vom Geistesblitz zur Erfindung ist nicht immer geradlinig. Fünf Innovationen, alle ausgezeichnet beim „Artur Fischer Erfinderpreis“, und ihre Geschichten.

Anette Frisch
Lesedauer: 8 Minuten

Man muss ja nicht mit allem groß herauskommen

Die Idee kam uns, als wir unsere Mutter in der Reha besuchten. Da sind viele Menschen, die wieder langsam laufen lernen müssen. Und dafür sind mindestens zwei Pflegerinnen und Pfleger notwendig: einer, der den Rollstuhl schiebt, eine andere, die den Patienten stützt. Aber wie wäre es, wenn der Rollstuhl der Person automatisch hinterherfahren würde? Genau das macht Shadow: Ausgestattet mit einer Kamera, folgt er seinem Besitzer wie ein Schatten. Während der Arbeit am dritten Prototyp, den wir am Max-Planck-Gymnasium Heidenheim gebaut haben, mussten wir unser Projekt beenden. Damit der Rollstuhl nämlich als Medizinprodukt anerkannt und hergestellt werden kann, muss vorher eine Feldstudie stattgefunden haben.

Die Geschwister Marla, 17, und Silvan Laidler, 19, aus Heidenheim haben mit der Entwicklung von Shadow in der Unterstufe begonnen und sie innerhalb von drei Jahren abgeschlossen. Mittlerweile arbeitet Silvan als Programmierer in einem Unternehmen. Marla hingegen möchte nach dem Abitur erst einmal längere Praktika machen und sich dann entscheiden, wo ihre berufliche Reise hingeht.

Für die Unternehmen, mit denen wir Kontakt hatten, war dieses Investitionsrisiko zu hoch. Es ist aber auf keinen Fall so, dass wir denken, wir seien mit unserem Projekt gescheitert. Im Gegenteil: Wir haben sehr viel gelernt, waren auf vielen Veranstaltungen und haben sehr viele nette Leute kennengelernt. Man muss nicht mit allem, was man macht, überall groß herauskommen. Es ist einfach ein Abschnitt, der zum Leben dazu gehört. Wichtig ist, Vertrauen zu sich zu haben und das auszuleben, wofür man brennt.

Mehr als acht Jahre Entwicklungszeit stecken in der Erfindung von Jochen Benz. Aus wertloser Abwärme mit relativ niedriger Temperatur erzeugt der promovierte Wirtschaftsingenieur aus Radolfzell wertvollen Strom.

Wenn man wirklich überzeugt ist: machen!

Ich habe mich zwischendurch des Öfteren gefragt, ob ich mich nicht übernommen habe. Zu Niedrigtemperatur-Stirling-Motoren forschen Rieseninstitute. Und ich sollte das als Einzelkämpfer schaffen? Die tiefe Überzeugung, dass es eine Lösung geben muss, hat mich weitermachen lassen. Meine Erfindung ist etwas kompliziert. Vereinfachend erklärt, kann man mit MACH 1881 aus Abwärme mit relativ niedriger Temperatur Strom erzeugen. Bei vielen Unternehmen verpufft ungenutzte Energie buchstäblich in der Luft. Das können wir uns aber nicht mehr leisten! Als ich im Jahr 2012 mit meiner Erfindung begann, war mir nicht klar, auf was ich mich da überhaupt einlasse. Allein für die Patentierung musste ich meinen ganzen Mut zusammennehmen, weil sie mit sehr hohen Kosten verbunden ist. Aber ohne Patent ist man vor Ideendiebstahl nicht geschützt und für die Erfindung ist auch kein Käufer zu finden. Und man sollte sich nicht beirren lassen auf seinem Weg. Wenn man wirklich von seiner Idee überzeugt ist, heißt die Devise: einfach machen und auf jeden Fall durchhalten! Auch wenn ich einen Lizenznehmer gefunden habe, werde ich meine Erfindung mit Herzblut weiter zum Erfolg begleiten.

Leonard Prall, 15, aus Ravensburg war elf Jahre alt, als er mit der Entwicklung seiner Leo Solar One begann. Über ein halbes Jahr lang kam sie am Bodensee zum Einsatz.

Ohne Verluste lässt sich nicht forschen

Im Sommer machen wir oft Urlaub am Bodensee. Irgendwann, da war ich gerade elf Jahre alt, sind mir die bunt schimmernden Sonnencreme-Schlieren aufgefallen, die sich besonders an heißen Tagen auf der Wasseroberfläche bilden. Ich wollte herausfinden, wie sich die Qualität des Wassers über einen gewissen Zeitraum verändert. So entstand die Idee, ein solarbetriebenes, ferngesteuertes Boot mit integrierter Messstation zu bauen. Die Konstruktion war aufwendig und die Abstimmung von Motor, Spannungsregler und Solarzellen habe ich lange nicht zusammengebracht. Bei der ersten Testfahrt hätte nicht viel gefehlt und das Boot wäre explodiert. Drei Motoren sind bei der Entwicklung draufgegangen! Aufzugeben stand aber für mich nie zur Debatte. Ich hatte viel Arbeit investiert, das wäre doch Humbug gewesen! Im Endeffekt bleibt dir als Erfinder nichts anderes übrig, als ständig auszuprobieren. Und du brauchst Mut, weil alles kaputtgehen kann. Wenn man, übertrieben gesagt, zehn Jahre forscht und sich nicht traut, ein bestimmtes Teil zu kaufen, wird man nie herausfinden, ob es funktioniert hätte. Ohne Verluste lässt sich einfach nicht forschen. Das gilt auch für mein neues Forschungsprojekt, in das ich gerade viel Energie stecke: einen Heliumballon, mit dem ich das Mikroklima in Städten untersuchen möchte.

Alexander Bayer, 22, aus Aalen entwickelt den BlindBot heute an der ETH Zürich weiter, wo er Elektrotechnik und Informationstechnologie studiert. Sein Erfolgstipp beim Erfinden? Gute Teamarbeit!

Der Mut zur Lücke ist wichtig

Im Unterschied zum großen Prototyp, den ich mit meinem Mitschüler Niklas Gutsmiedl am Kopernikus-Gymnasium in Aalen entwickelt hatte, ähnelt der BlindBot heute mehr einem Blindenstock als einem Gestell auf Rollen. Aber das Ziel ist geblieben: blinden Menschen den Alltag zu erleichtern. Es war nicht einfach für mich, von der ursprünglichen Idee Abschied zu nehmen. Aber durch viele Gespräche ist mir irgendwann klar geworden, dass wir ein kleineres und portables Gerät brauchen, wenn wir in Produktion gehen wollen. Unser BlindBot wird im Wesentlichen über den Griff gesteuert. Er vibriert, wenn sich ein blinder Mensch einem Hindernis nähert, und gibt über einen motorisierten Zeiger die Richtung an. Die erkennt der BlindBot über eine Kamera, die im Stockende integriert ist. Derzeit arbeiten wir daran, die Navigation über Sprache zu steuern. Und wir testen eine Künstliche Intelligenz, die das Kamerabild umrechnen soll. Dazu führt sie Millionen von Multiplikationen und Additionen durch, wobei niemand sagen kann, warum sie was und wie berechnet. Wir können lediglich das Ergebnis abwarten. Ich finde, ein solches Verständnis für das Ungewisse, den Mut zur Wissenslücke, lernt man nur, wenn man experimentiert. Denn oft ist es nicht der vermeintlich perfekte Weg, der am Ende auch funktioniert.

Es ist genial, die eigene Idee wachsen zu sehen

Die Idee zu unserer Erfindung kam Katharina, als ihre Großmutter sie bat, ihr beim Ab- und Wiederaufhängen der Gardinen zu helfen. Das war jede Menge Arbeit und auch recht unsicher, weil man immer wieder die Leiter hoch- und hinuntersteigen musste. Wir waren beide im Wirtschaftsleistungskurs am Albertus-Magnus-Gymnasium in Stuttgart und hatten die Aufgabe, ein Unternehmen zu gründen. Wir haben also ein Gardinenschienensystem entwickelt, das an der Decke angebracht ist und sich automatisch auf Arbeitshöhe herunterfahren lässt. Das klingt vielleicht unspektakulär, so nach Housewives, und auch wir dachten erst, die Idee sei zu klein.

Mittlerweile studieren Magdalena Fleischmann (Bild links), 20, und Katharina Port (Bild rechts), 19, Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hohenheim. Prinzipiell können sie sich aber vorstellen, später ein eigenes Unternehmen aufzubauen.

Aber wir haben so viel Zuspruch bekommen, dass wir dabei geblieben sind und für unsere Erfindung sogar ein Gebrauchsmuster beim Deutschen Patentamt angemeldet haben. Der Weg dorthin war allerdings auch anstrengend, weil wir das Ganze mitten in unserer Abi-Phase gemacht haben. Trotzdem war es eine geniale Erfahrung, eine Idee für ein Problem zu entwickeln und zu sehen, wie sie allmählich wächst: vom Businessplan über die erste Skizze bis hin zum Prototyp. So etwas erlebt man nur beim Gründen!