Gut zu wissen – schwer zu erklären?

Wie viel Mut braucht Wissenschaftskommunikation? Julika Griem und Christina Beck im Gespräch.

Eva Wolfangel
Lesedauer: 10 Minuten

Viele Forschende ziehen sich aus der Kommunikation zurück, weil sie in der Coronakrise angefeindet werden. Braucht es Mut, um Wissenschaft zu kommunizieren?

Julika Griem Mut ist aus meiner Sicht eine sehr aufgeladene Kategorie. Natürlich gibt es Situationen wie die aktuelle, die durchaus ein wenig Mut erfordern. Wir wissen, dass Christian Drosten zeitweilig Personenschutz hatte. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass sehr viele etablierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter sehr guten Bedingungen arbeiten. Wir haben feste Stellen, wir können in der Pandemie weiterarbeiten, viele von uns sind verbeamtet. Wir müssen kaum Sorge um unsere Jobs haben. Da finde ich das mit dem Mut relativ. Viele von uns sind unter Druck, aber den meisten von uns geht es sehr viel besser als großen Teilen der Gesellschaft.

Christina Beck Vielleicht braucht es aber doch so etwas wie Mut. Wir sehen gerade eine zunehmende Polarisierung der Debatte und in den sozialen Medien einen Dialog oder besser eine Form von Beschimpfung, die unserer Gesellschaft nicht guttut. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler brauchen in solchen Fällen auch Rückendeckung durch die Institutionen.

Christina Beck ist Leiterin der Abteilung Kommunikation in der Generalverwaltung der Max-Planck-Gesellschaft (MPG).
Zuvor hat sie am Max-Planck-Institut für Biochemie promoviert und im Referat Forschungspolitik der MPG gearbeitet.

Hat die Wissenschaftskommunikation mit eigenen Fehlern dazu beigetragen? Erst hieß es etwa, „tragt auf keinen Fall Masken“, jetzt gibt es sogar eine Maskenpflicht.

CB Es ist nicht immer einfach zu entscheiden, wann man was kommuniziert. Gerade zu Beginn der Pandemie gab es ja nur wenig gesicherte Erkenntnisse. Die Politik erwartet sich aber Rat, nicht nur wissenschaftliche Evidenz. Sie fragt: Was sollen wir jetzt tun? Wir sind als Max-Planck-Gesellschaft im Frühjahr 2020 dem Wunsch der Politik nach wissenschaftlichem Rat nachgekommen. Gemeinsam haben die vier außeruniversitären Forschungseinrichtungen Vorschläge unterbreitet, was jetzt getan werden sollte. Es ist eine Gratwanderung für die Wissenschaft, ich halte das in einer solchen Krise aber für notwendig. Wir können schließlich nicht auf die Einschätzung von Expertinnen und Experten verzichten.

Aber könnten sie nicht richtigstellen, was die Rolle von Forschung ist und was die von Politik? Sie müssen dieser Erwartung doch nicht nachkommen, Politikempfehlungen zu geben. Ist das nicht falsch, hier die Zuständigkeiten aufzuweichen?

JG Unter dem gegenwärtigen Problemdruck ist es schwer, im Auge zu behalten, dass Wissenschaft und Politik unterschiedliche Aufgaben haben. Wissenschaft kann Fachwissen verständlich aufbereiten, aber es ist die Aufgabe der politischen Entscheidungsträger, aus dieser häufig nicht einstimmigen Expertise Entscheidungen für unser Zusammenleben abzuleiten.

CB Aber wen soll die Politik sonst fragen? Klar ist diese Rolle für die Wissenschaft schwierig. Und oft wird Wissenschaft auch instrumentalisiert. An der Feinstaubdebatte konnte man zum Beispiel sehen, wie sich Politik im Zweifel das heraussucht, was ihr genehm ist. Der Befund des Max-Planck-Instituts für Chemie, dass Feinstaub die Lebenserwartung verkürzt, wurde von einer Gruppe von Lungenärzten – die „Lungenärzte im Netz“ – in einem Positionspapier kleingeredet: Feinstaub sei gar nicht so schlimm und den Grenzwerten dafür fehle die wissenschaftliche Grundlage. Von den Lungenärzten gab es aber keine wissenschaftlichen Belege. Trotzdem stürzten sich Politikerinnen und Politiker auf diese Stellungnahme. Politik muss lernen zu unterscheiden: Was ist qualifizierte Wissenschaft und wo handelt es sich um Pseudoexpertinnen und -experten?

Politik muss lernen zu unterscheiden: Was ist qualifizierte Wissenschaft und wo handelt es sich um Pseudoexpertinnen und -experten?
Christina Beck

Wobei das ja nicht ausschließlich das Problem der „Lungenärzte im Netz“ ist. Ich beobachte immer wieder, dass manche Forschende plötzlich zu „Expertinnen und Experten für alles“ werden und auch Themen öffentlich kommentieren, zu denen ihre Expertise eher schwach ist. Woran erkennt man denn gute Wissenschaftskommunikation?

JG Gute Wissenschaftskommunikation leistet für mich, dass immer wieder mit erklärt wird, wie voraussetzungsreich Studien sind: Wie haben wir das gemacht? Mit welchen Methoden? Was sind die Grenzen der eigenen Forschung, welche Fragen beantwortet diese und jene Studie nicht? Wir haben im Alltag und unter dem Entscheidungsdruck der Politik oft leider nicht die Zeit, das mit zu erklären. Aber es ist wichtig – auch wenn Reflexion nicht immer als sexy gilt. Und in den sozialen Medien nicht leicht zu vermitteln ist. Deren Mechanismen tragen häufig dazu bei, dass Ergebnisse verkürzt und auch sensationsheischend kommuniziert werden. Ich bin aber überzeugt davon, dass wir Forschung reflektiert und attraktiv vermitteln können.

Aus der Stiftung – Forschung

FORSCHUNGSTAG 2020

Am 20. Oktober fand der 7. Forschungs­tag der Baden­Württemberg Stiftung rein virtuell mit hochrangigen Speake­rinnen und Speakern aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft statt, darunter auch Prof. Griem und Dr. Beck. Highlight war die Podiumsdiskussion zum The­ma „Herausforderungen in der Wissen­schaftskommunikation“. Mehr Infos und Videos zum Forschungstag unter:

bwstiftung.de/de/forschungstag

Es ist fast en vogue, über die sozialen Medien zu schimpfen, aber mir erscheint das manchmal als Ausrede, um nicht aktiv werden zu müssen. Was kann man tun, um unter diesen Bedingungen besser zu kommunizieren? Könnte man etwa mit Blogs und Podcasts mehr Menschen erreichen?

CB Ganz ehrlich: Es werden doch schon alle Kanäle von uns bespielt. Und trotzdem müssen wir feststellen: Die Zahl der Menschen, die sich für Wissenschaft interessieren, verändert sich seit Jahren kaum. Laut Statista sind das rund zehn Millionen Menschen in Deutschland. Wir sind aber 80 Millionen. 32 Millionen geben an, dass sie gar kein Interesse an Wissenschaft haben. Es gibt also sehr viele, die sich nicht aktiv informieren und die wir mit unseren Posts und Blogs nicht erreichen. Das ist schwierig in einer Situation wie dieser, in der wir wichtige Entscheidungen treffen müssen: zu den Corona-Beschränkungen, zu Impfungen und so weiter. Mit wissenschaftlichen Blogs erreichen wir vor allem ein akademisches Publikum. Das sind jedoch zu wenige. Wir können aber auch nicht als Streetworkerinnen und Streetworker ausströmen, um vermeintlich alle zu erreichen.

JG Die Kommunikation wird noch nicht unbedingt besser, wenn man mehr Menschen erreicht. Es geht darum, die Formate noch genauer auf Anlässe und Zielgruppen abzustimmen. Wer sich nicht für Wissenschaft interessiert, ist nicht automatisch Wissenschaftsfeind. Aber natürlich müssen wir uns fragen, wie wir auch nicht akademisch trainierte Publika erreichen können. Soziale Medien können helfen; ebenso unterhaltsame Formate. Wobei ja noch zu definieren wäre, was überhaupt als unterhaltsam empfunden wird. Geht es da tatsächlich nur um Heldenreisen und Spektakel und um immer kürzere Aufmerksamkeitsspannen? Ich finde, wir unterschätzen unser Publikum, wenn wir zu schnell davon ausgehen, dass eine Auseinandersetzung mit den Prozessen, Spannungen und Widersprüchen von Wissenschaft nur etwas für Eingeweihte ist.

CB Das Problem dabei ist: Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung deutlich mehr Vertrauen in wissenschaftliche Expertinnen und Experten hat als in die Politik. Deshalb haben wir schon eine Verantwortung, Erkenntnisse gut verständlich zu vermitteln. In den USA beispielsweise spielt Wissenschaftskommunikation schon im Studium eine viel größere Rolle als hier, da wird das direkt mit eingeübt. Es gibt verpflichtende Kurse, in denen die Studierenden lernen, wie sie ihr Thema kommunizieren.

Julika Griem ist Direktorin des Kulturwissenschaft­lichen Instituts Essen (KWI) und Vizepräsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
Zuvor war sie Professorin für Anglistische Literaturwissen­schaft an der Goethe­-Universität Frankfurt am Main sowie an der TU Darmstadt.

Kann die Wissenschaft die Menschen besser abholen, wenn frühzeitig Kommunikationsstrategien gelernt werden?

JG Ich finde den Begriff „abholen“ schwierig. Er suggeriert, dass Wissenschaftskommunikation funktioniert wie öffentlicher Nahverkehr: Ich hole jemanden an der Haltestelle ab, und wenn er wieder aussteigt, hat er alles verstanden. Ich finde, wir müssen nicht immer einfacher und direkter werden, sondern das Interesse daran wecken, wie Wissen eigentlich entsteht. Das könnte durchaus auch im Studium beginnen: Wenn man mit allen Studierenden von Anfang an darüber reden könnte, was Wissenserwerb bedeutet, welche Form von Wissen sie produzieren und welche Formen andere Disziplinen, und wenn man allein diese Gruppe sensibilisierte für solche Themen, dann habe ich Hoffnung, dass die das auch weitertragen. Die haben alle Freunde und Bekannte, Omas und Opas, Onkel und Tanten. Es könnte sich lohnen, sich mehr mit der Zielgruppe der Studierenden zu beschäftigen – und mit Schülerinnen und Schülern sowieso.

Braucht es nicht trotzdem auch „Köpfe“ für die Kommunikation, also Persönlichkeiten wie Christian Drosten in der Corona- Pandemie, die vorne stehen?

JG Christian Drosten macht das zwar vorbildlich und weist immer wieder auf die Grenzen seiner Expertise hin. Trotzdem halte ich diese Fixierung auf singularisierte Expertenfiguren für problematisch. Wenn man sich die Ökonomie des Mediensystems anschaut, dann sieht man, was funktioniert: Köpfe funktionieren. Natürlich spielt das bei Drosten eine Rolle. Aber er ist auch in die klassische Heldenfalle geraten und hat das bitter bezahlt. Das musste vermutlich so kommen. Eine gewisse Form der Exponierung im Mediensystem hat solche Folgen. Auch deshalb halten sich manche Leute
kommunikativ zurück.

CB Das ist etwas, was mich umtreibt, und zwar in Bezug auf die Klimakrise. Das Max-Planck-Institut für Meteorologie kommuniziert schon seit Ende der 90er-Jahre intensiv zu diesem Thema. Trotzdem ist es den Klimaforscherinnen und -forschern über Jahrzehnte nicht gelungen, das Thema mit seiner Dringlichkeit in der Öffentlichkeit zu platzieren. Und dann kommt die Bewegung Fridays for Future mit Greta Thunberg. Wieso brauchten wir den Greta-Effekt, damit das Thema populär wird?

JG Ich finde die Bewegung um Greta Thunberg wichtig, gleichzeitig ist es natürlich schwierig, dass sie „die Wissenschaft“ im Singular anspricht, gerade so, als seien sich da alle immer einig. Ich frage mich seit Beginn der Pandemie, ob wir die aktuelle Veränderungsbereitschaft nicht auch in den Umgang mit der Klimakrise hinübernehmen können. Es ist nicht nachzuvollziehen, wieso nach einem so starken Konsens in der Sache beim Thema Klimawandel so wenig passiert, nach dem Motto: „Betrifft uns ja nicht, ist weit weg.“

Trotzdem erreicht die Wissenschaftskommunikation auch beim Thema Corona nicht alle – im Gegenteil: Es gibt immer mehr Verschwörungsmythen.

JG Zunehmende Verschwörungsmythen sind ein großes Problem, und an dieser Kommunikationsfront müssen wir aktiv bleiben und auch aktuelle Forschung dazu berücksichtigen. Wir müssen uns aber insgesamt auch fragen, wie viel destruktives Desinteresse an Wissenschaft eine Gesellschaft aushalten kann und soll. In manchen Situationen darf man sich nicht verkämpfen und sollte seine Kräfte an anderen Stellen bündeln. So wie es ja manchmal kleine Shitstorms auch einfach auszuhalten gilt, weil missverständliche Reaktionen die Sache nur schlimmer machen – oder weil in der Verschwörungskommunikation gar kein Interesse an Diskussion besteht.

CB Dabei stehen wir eigentlich so gut da in Deutschland. Wir sind das einzige Land, in dem sich die Menschen nicht mehrheitlich über die sozialen Medien informieren. Umfragen zeigen, dass Menschen den Nachrichten in ARD und ZDF noch am meisten vertrauen. Die Öffentlich-Rechtlichen könnten da viel mehr bewegen. Aber sie nutzen diese Chance viel zu wenig. Wir sehen viel zu viele Talkshows mit den immer gleichen Köpfen.

JG Wer guckt dieses Fernsehen überhaupt noch? Wenn ich meine jungen Kolleginnen und Kollegen frage, dann schauen die in der Regel kein Fernsehen mehr, und schon gar kein deutsches.

CB Das deutsche Fernsehen lotet die Möglichkeiten gerade auch fiktionaler Formate zu wenig aus. Die Art des Storytellings, die Rollen und die Dialoge – das ist alles absolut durchschaubar. Von wenigen Ausnahmen wie der Serie Bad Banks mal abgesehen. Ein bisschen mehr Mut – hier wäre das Wort mal angebracht – könnte man den Leuten schon zutrauen. Auch Wissenschaft und ihre Arbeitsweise ließe sich durchaus transparent machen, gerade im Unterhaltungsfernsehen.

Wir müssen uns insgesamt auch fragen, wie viel destruktives Desinteresse an Wissenschaft eine Gesellschaft aushalten kann und soll.
Julika Griem

Lässt sich die Kommunikation von Unsicherheit und Vorläufigkeit wissenschaftlicher Ergebnisse wirklich im Unterhaltungsfernsehen abbilden?

JG Auf jeden Fall! Ich könnte mir gerade in der tristen deutschen Fernsehlandschaft da viel Besseres vorstellen. Ich würde gerne gute Comedy über Wissenschaft sehen! Es gab doch zum Beispiel The Office oder in Deutschland Stromberg, diese Büroserie; so könnte man Wissenschaft auch mal angehen. Wissenschaft besteht ja auch aus ziemlich viel Bürokratie, aus der man lustige Sachen machen könnte, die vielleicht Schwellen überwinden. So ernst die Lage ist – Wissenschaft hat doch zugleich Seiten, von denen man anders unterhaltend erzählen könnte. Neben der Faszination gibt es Langeweile, das Aushalten, die Niederlagen, das Neuanfangen; das Balzen und Posieren, das Durchwurschteln und Improvisieren. Über die Pandemie hinaus hätte es vielleicht auch etwas Befreiendes, nicht nur den staatstragenden Heldenton anzuschlagen. Aber auch das muss man einem Publikum zutrauen.

Wir drei würden das vielleicht interessant finden – aber ist das mehrheitsfähig?

CB Eine gut gemachte Serie kann viel leisten, da bin ich sehr optimistisch. Beispielsweise wurde die Forensik durch die Romane von Kathy Reichs populär, die dann als Serie Bones im Fernsehen gelandet sind. Das hat einen richtigen Boom ausgelöst in der forensischen Anthropologie. Solche fiktionalen Serien wie Bones oder auch Dr. House, die wissenschaftliches Arbeiten tatsächlich sehr fundiert und transparent darstellen, erreichen dann auch in Deutschland ein viel größeres Publikum als klassische – durchaus ja gut gemachte – Wissenschaftssendungen wie etwa Leschs Kosmos.