Reportage
Mannheim wird Schwammheim

Städte müssen kühler werden und Regenwasser speichern können. Schwammstadt heißt dieses Konzept, das immer mehr Städte auch in Baden-Württemberg verfolgen. Wie es gehen kann, zeigt Mannheim.

Benno Stieber
Lesedauer: 4,5 Minuten

Wasserort Mannheim
V

Von der rechten Ecke des Stadtplans weisen vier Klimakorridore wie grüne Finger auf den quadratischen Grundriss der Mannheimer Innenstadt. Die Grünschneisen transportieren frische Luft vom Käfertaler Wald im Nordosten bis in die City. Jens Weisener und Georg Pins sitzen im wohl temperierten Mannheimer Rathaus und zeigen die Strömungsverläufe auf der Karte. Weisener arbeitet im Fachbereich Stadtplanung, Pins leitet die Abteilung Klimaschutz der Stadt. Die vier Frischluftkorridore, erklären sie, sind so etwas wie die Klimaanlage der Mannheimerinnen und Mannheimer. Sie bringen der Stadt mit ihren 325.000 Einwohnern in Hitzesommern kühle Luft zum Atmen. Diese natürliche Frischluftzufuhr war jahrzehntelang gestört. Drei militärische Areale lagen mit ihren Asphaltflächen und Kasernen im Weg und erwärmten die vorbeiströmende Luft um drei bis vier Grad. Auf dem Stadtplan, den Pins und Weisener vor sich liegen haben, sind sie noch rot markiert. 

 

Mannheim gehört zu den Städten in Baden-Württemberg, die am meisten von Hitze und Dürre geplagt sind. Im Jahr 2022 war sie sogar die deutsche Stadt mit den meisten Hitzetagen: An 47 Tagen war es über 30 Grad Celsius heiß. Unter den zehn größten Städten im Südwesten ist sie zudem die Kommune mit dem höchsten Anteil versiegelter Flächen – mit der Konsequenz, dass an heißen Tagen die Hitze in der dicht bebauten Stadt steht. Um sich an den Klimawandel anzupassen, hat die Stadtverwaltung, früher als andere Kommunen, Maßnahmen eingeleitet. Schon im Jahr 2005 wurde eine eigene Abteilung für Klimaschutz gegründet und 2009 damit begonnen, ein Klimaschutzkonzept zu entwickeln. Als eine der ersten Städte in Deutschland beschloss Mannheim 2018 einen Hitzeplan, um Bevölkerungsgruppen zu schützen, die besonders von hohen Temperaturen betroffen sind. Im selben Jahr erstellte die Stadt – unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger – eine Strategie zur Klimaanpassung, die auch vorsieht, Flächen zu entsiegeln und Grünflächen anzulegen. Schritt für Schritt soll die Quadratestadt zur Schwammstadt werden.

Mannheim will bis 2030 klimaneutral sein. Die zweitgrößte Stadt Baden- Württembergs wurde 2023 gemeinsam mit Aachen und Münster zur „EU-Modellstadt für Klimaneutralität“ gekürt. Bei der Umsetzung des Ziels helfen Projekte wie die Umwandlung des Franklin-Areals in ein zukunftsfähiges, nachhaltiges Stadtquartier, das Mannheim neue Impulse gibt.
Copyright: Werner Wohnbau GmbH & Co. KG, HANEN ARCHITEKTEN/evohaus GmbH

Städte wie Schwämme

 

Das Konzept Schwammstadt hat derzeit Hochkonjunktur. Metropolen wie Rotterdam sind mit Dachbegrünung und Hochgärten schon zu einem guten Teil Schwammstädte, aber auch das Schumacher Quartier in Berlin oder ein vom Karlsruher Ingenieurbüro BIT geplantes neues Wohnviertel in der Kaiserstuhlgemeinde Riegel werden nach diesem Prinzip konzipiert. In Winnenden entsteht ein Wohnviertel mit Rückhaltebecken für Regenwasser und in Schwäbisch Gmünd ein Park nach dem Schwammstadtprinzip. Es geht bei dem Konzept, so beschreiben es die Karlsruher BIT-Ingenieure, im Wesentlichen um diese Aspekte: Begrünen, Kühlen, Verdunsten, Verschatten und Rückstrahlen. Begrünte Flächen, Dächer und Fassaden speichern Regenwasser und verdunsten es bei Hitze. Frischluftschneisen und Bäume kühlen die Luft zusätzlich. Sonnenschutzelemente an Gebäuden wiederum spenden Schatten und helle Häuserfassaden reflektieren die Sonneneinstrahlung. Hinzu kommt das sogenannte Multicodieren: Knappe Flächen in Innenstädten werden gleichzeitig für möglichst viele Gruppen nutzbar gemacht. So können beispielsweise grüne Dächer neben ihrer eigentlichen Funktion zur biologischen Vielfalt beitragen. Grünflächen können gleichzeitig Spielplätze und Flächen zur Versickerung von Regenwasser sein.

 

Die Gelegenheit, das Konzept im großen Stil in Mannheim umzusetzen, bot sich im Jahr 2016, als die US-Armee ihre Truppen abzog. Eine mehr als 500 Hektar große Fläche im Stadtgebiet wurde frei – dort, wo unter anderem die US-Kasernen Franklin, Spinelli und Taylor standen. In den vergangenen Jahren wurden die Flächen aufwendig entsiegelt und rückgebaut. So entstand die Frischluftschneise, die Mannheim nun an heißen Tagen kühlt. Zudem wurde die Spinelli-Kaserne mit Biotopen und Wasserversickerungsflächen zur Heimstatt für klimafreundliches Wohnen und zu einem Naherholungsgebiet. In nur sechs Jahren wurde das gesamte Gelände umgestaltet. Ein riesiger Kraftakt. Geholfen hat der fixe Termin der Bundesgartenschau (BUGA), die von April bis Oktober 2023 einen Teil des freigewordenen Areals bespielte. Und auch die Finanzierungshilfen, die mit dem Großereignis verbunden waren, gaben dem Projekt den notwendigen Schwung. „So eine Gelegenheit hat nicht jede Stadt“, sagt Stadtplaner Jens Weisener.

 

Pünktlich zum Start der BUGA verwandelte sich die ehemalige Spinelli-Kaserne in ein großzügiges grünes Areal: knapp 70 Hektar Pflanzenvielfalt mit Bienenstöcken, kleinen Schotterflächen für Eidechsen und andere Kriechtiere. Zudem entstanden die ersten Wohneinheiten, mit ökologischen Baustoffen errichtet, mit begrünten Dächern und Fassaden. Zwischen den Wohnblocks und der grünen Freifläche liegen Versickerungsmulden, die das Wasser bei Wolkenbrüchen statt in die Kanalisation ins Grundwasser abtransportieren. Dabei war das Gelände für die Besucherinnen und Besucher der BUGA 2023 auf den ersten Blick vielleicht eine Enttäuschung. Ein Areal, flach wie ein Teller und mit nur ganz wenigen Bäumen, eine triste Vegetation, die je nach Jahreszeit ein wenig an eine Savanne erinnert. Doch das ist gewollt. „Nichts soll den Luftstrom von 12.000 Kubikmetern pro Sekunde bremsen“, erklärt Georg Pins. „Der entscheidende ökologische Wert ist das freie, unversiegelte Gelände.“   

Winterlichter am Luisenpark. Copyright: Mannheim24/Peter Kiefer

Konflikte über Klimamaßnahmen

 

Das Spinelli-Gelände kommt heute dem Ideal einer Schwammstadt ziemlich nahe – mit seinen möglichst naturnahen Grünflächen, die Regenwasser aufnehmen und auch verdunsten können. Das kühlt die Stadt bei Hitze ab.

Doch wie an vielen Orten müssen sich auch die Mannheimerinnen und Mannheimer sowohl gegen Hitze als auch gegen Hochwasserereignisse schützen. In der Stadt mündet der Neckar in den Rhein. Zuletzt traten die beiden Flüsse im Jahr 2021 über die Ufer. Gleichzeitig geraten Menschen und die Vegetation in den immer häufiger auftretenden Dürresommern unter Hitzestress. Es sind diese Gegensätze, die die Schwammstadt abpuffern soll.

 

Doch die Umsetzung ist nicht immer einfach. Richtig anspruchsvoll wird es bei Veränderungen im Bestand. Eigentlich müssten in Mannheim beispielsweise 1.000 Bäume im Jahr als Sauerstoff- und Schattenspender gepflanzt werden. Den Bedarf hat die Klimaschutzabteilung von Georg Pins ermittelt. Aber in der eng bebauten Innenstadt ist jeder Quadratmeter begehrt: als Baugrund, als Parkplatz, als Straße oder als Fahrradweg. Auch unter der Erde wird der Raum genutzt, etwa für Kanäle, Stromleitungen und Glasfaserkabel. Es bleibt deshalb wenig Platz für Bepflanzung oder gar für Versickerungsmulden. Der Nutzungsdruck sei groß, gibt Stadtplaner Jens Weisener zu.

 

Allein 20 bis 30 Prozent der Gesamtfläche einer Stadt sind Straßenräume. Klimamaßnahmen führen oft zu Konflikten unter den Bürgerinnen und Bürgern. Wenn Parkplätze zu Gunsten von Grünflächen zurückgebaut werden sollen, haben viele Menschen das Gefühl, es würde ihnen etwas genommen. Aber Pins und Weisener erkennen auch ein Umdenken bei der Bevölkerung. Als die Stadt Zuschüsse für Privatpersonen zur Verfügung stellte, um Grundstücke und Dächer zu begrünen, wurde das Geld im ersten Jahr nur zögerlich abgerufen. Das hat sich inzwischen geändert.

 

Auch innerhalb der Verwaltung gibt es widerstreitende Interessen, wenn es um Begrünung und Renaturierung geht. Mehr Grün bedeutet mehr Pflege- und damit mehr Personalaufwand. Jeder gepflanzte Baum muss durchschnittlich sieben bis zehn Jahre bewässert werden, bevor er allein überlebt – vorausgesetzt es handelt sich um eine hitzeresistente Art. Solche inneren Widerstände könne man nur mit Pragmatismus knacken, sagt Georg Pins. Und mit cleverer Technologie. Statt Grünanlagen auf dem Stadtgelände pauschal zu bewässern, könnte man den Aufwand und die Wassernutzung mit digitaler Technik verringern. Mannheim experimentiert gerade mit Sonden, die melden, wenn ein Baum Wasser braucht. Nur dann muss bewässert werden. „Gießen on demand“ sozusagen.

Der Glückstein-Park wurde in den vergangenen Jahren zu einem naturnahen
Erholungsort. Stadt und Raum/Benner

Mittelalterliche Techniken

 

Manchmal ist es nicht digitale Technik, sondern der Blick in die Vergangenheit, der zukunftsweisende Lösungen möglich macht. In Freiburg, das elf Monate im Jahr unter zu trockenen Böden leidet, wie das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in seinem Dürremonitor schreibt, experimentieren Stadtplanerinnen und Stadtplaner jetzt mit mittelalterlichen Techniken, um dem Boden wieder mehr Grundwasser zuzuführen. Methoden aus einer Zeit, als es noch gar keine Kanalisation gab. Statt Betonflächen sollen, wie schon vor fast tausend Jahren, in der historischen Innenstadt von Freiburg wieder mehr Pflastersteine verbaut werden. Die Lücken zwischen den Steinen geben dem Wasser die Möglichkeit zum Versickern. In Freiburg entsteht derzeit mit dem Wohngebiet Dietzenbach zudem ein neues Quartier, bei dem mit Dach- und Fassadenbegrünung, durchlässigen Böden und Verdunstungsflächen das Schwammstadtprinzip gelten soll. Doch das Projekt ist umstritten. Denn für die Wohnungen für 15.000 Menschen müssen Bäume weichen.

 

Die verschiedenen berechtigten Interessen sind oft schwer vereinbar. In ganz Deutschland fehlt es an bezahlbarem Wohnraum, auch in Mannheim. Aus Sicht des Mannheimer Stadtplaners Jens Weisener sollten trotzdem keine neuen Baugebiete mehr auf der grünen Wiese entstehen. Stattdessen sollten lieber freiwerdende Bürogebäude zu Wohnhäusern umgebaut werden. Und auch auf dem Spinelli-Gelände ist noch Platz zur Nachverdichtung, ohne dass Mannheims grüne Lunge angetastet werden müsste. Die Konzepte für die Green Cities liegen auf dem Tisch, vieles ist erprobt. „Aber“, sagt Weisener, „angesichts der Klimaveränderungen sind wir nicht schnell genug.“

Ein wichtiger Bestandteil des Schwammstadtprinzips ist konsequente Begrünung. Auf dem ehemaligen Gebiet der Taylor-Kaserne gibt es heute einen großzügigen Park. Copyright: Studio Hanns Joosten

Aus der Stiftung – Forschung

Wassermanagement

Starkregen betrifft auch Städte wie Mannheim. Versiegelte Flächen, Straßen und ausgetrocknete Böden können dazu beitragen, dass dann Nähr- und auch Schadstoffe abgeschwemmt werden. Forschende des TZW Technologiezentrums Wasser in Karlsruhe untersuchen den Einfluss von Starkregenereignissen auf die Wasserqualität. Ihr Projekt RiQO wird von der Baden-Württemberg Stiftung gefördert.