Ein Feuerwerk der Aktivitätsmuster
Wir wissen heute, dass gute Ideen zwei Grundvoraussetzungen brauchen: Unser Kontrollzentrum im Stirnhirn, der präfrontale Cortex, muss im Ruhemodus sein. Erst dann sind die Weichen gestellt, damit sich zuvor im Gedächtnissystem gespeicherte Informationen neu zusammensetzen können. Kurz gesagt: Das Hirn braucht Ruhe und vorhandenes Wissen, um eine Idee zu entwickeln. Wie bei Archimedes kommen uns die besten Ideen meist dann, wenn wir gerade nicht mehr auf ein Problem konzentriert sind, sondern baden oder staubsaugen. Dieser Zustand, in dem Inspiration sich entfaltet, kann für jede und jeden anders aussehen. Die einen gehen im Wald spazieren oder hören Musik, die anderen wenden sich dem nächsten Projekt zu. Wir treten jedenfalls einen Schritt zurück, schalten das Kontrollzentrum aus und betrachten etwas in einem neuen Zusammenhang. So verstehen wir etwas neu – auch uns selbst – und lernen. Ein anderes Wort für diesen Zustand ist Müßiggang. Künstlerinnen und Künstler schätzen ihn als Quelle der Inspiration.
Kreativität kann man lernen. Wie stark wir unsere Kontrollinstanz walten lassen, lässt sich trainieren. Indem wir bewusst die Perspektive wechseln, sei es durch den Austausch mit Menschen aus einem anderen Kulturkreis oder indem wir beim Denken tanzen statt stillzusitzen. Nur langsam verändert sich unser Bildungssystem, das seit dem 19. Jahrhundert darauf ausgerichtet ist, Menschen auf Arbeiten vorzubereiten, die heute Maschinen übernehmen können. Hirnforscherinnen und Hirnforscher werden daher nicht müde zu betonen, dass wir unser Bildungssystem revolutionieren müssen. Denn eine innovative Gesellschaft entsteht dort, wo Kreativität ihren Raum hat – und nicht dadurch, dass stumpf regelkonformes Wissen gepaukt wird.
Was wäre, wenn analytische und kreative Unterrichtsfächer, wenn Mathe und Musik die gleiche Anerkennung bekämen? Würde bislang Gelerntes an Wert verlieren? Gingen die Expertinnen und Experten unter und eine kreative Anarchie stürzte die Welt ins Chaos? Unwahrscheinlich. Denn erst im richtigen Gleichgewicht von Analyse und Kreativität, von Inspiration und Wissen beginnt im Hirn das einmalige Feuerwerk der Aktivitätsmuster. Ob im Labor, vor einer Schulklasse oder über dem leeren Blatt: Alles, was uns dabei hilft, die Perspektive zu wechseln, fördert das kreative Denken.
Gute Ideen kann jede und jeder haben. Dazu brauchen wir nur Raum. Der Unmut, den die Frage nach ihrer Ideenquelle bei Schriftstellerinnen und Schriftstellern auslöst, rührt übrigens daher, dass auch Kunst Mühe ist. Denn eines gilt für jede gute Idee: Sie ist nur der Beginn einer ganzen Menge Arbeit.