Rechtsstaat in Zeiten des Terrors

Mark Zöller wurde 2005 in das Eliteprogramm für Postdocs aufgenommen, das exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf ihrem Weg zur Professur unterstützt. Seit damals forscht er zum Spannungsfeld Rechtsstaat vs. Terrorismusbekämpfung.

Isabel Stettin
Lesedauer: 3 Minuten

Wie kamen Sie auf Ihr Forschungsthema?

Mark Zöller Als ich damals zu den „Möglichkeiten und Grenzen der Terrorismusbekämpfung durch das Strafrecht“ forschte, waren die Eindrücke vom 11. September 2001 noch frisch. Mir ging es zunächst darum, zu verstehen, was Terrorismus eigentlich ist, wo die Wurzeln liegen, wie Terroristen ticken, wie sie sich auch im Netz radikalisieren. Der Palästina-Konflikt, Sunniten, Schiiten, Rechtsextremismus: Ich habe mich breit eingearbeitet. Noch heute versuche ich, stets verschiedene Perspektiven einzubinden, tausche mich mit Politologen, Soziologinnen oder Religionswissenschaftlern aus, arbeite regelmäßig mit einer Sozialpsychologin zusammen.

Portraitfoto von Prof. Dr. Mark Zöller in schwarzweiß
Prof. Dr. Mark Zöller, 48, hat den Lehrstuhl für Deutsches, Europäisches und Internationales Strafrecht und Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und das Recht der Digitalisierung an der Ludwig-Maximilians-Universität in München inne. An der dortigen Juristischen Fakultät leitet er auch das Institut für Digitalisierung und das Recht der Inneren Sicherheit (IDRIS).

Wie blicken Sie auf das Eliteprogramm für Postdocs zurück?

Ohne das Programm der Baden-Württemberg Stiftung wäre ich heute nicht Professor, sondern vermutlich Anwalt. Die Förderung kam zu einem Zeitpunkt, an dem ich ernsthaft an meiner wissenschaftlichen Karriere zweifelte. Das Eliteprogramm hat mich ermutigt. Ich reiste nach Los Angeles, habe dort die komplette Bibliothek und Datenbank der Universität „leergeräumt“ und konnte fächerübergreifend ins Thema eintauchen. Das hat schließlich zur Habilitation geführt. Darum blicke ich mit großer Dankbarkeit zurück.

Wie und woran arbeiten Sie heute?

Mich beschäftigt die Frage, wie der Rechtsstaat auf Bedrohungen reagieren soll. Wie weit dürfen wir zu Lasten des Einzelnen gehen, im Interesse der Gesellschaft? Was ist verhältnismäßig? Ein einfaches Beispiel dazu: Ich gehe in den Laden und kaufe mir Wasserstoffperoxid. Das kann ich tun, um einen Anschlag zu planen – oder um Schimmel in der Wohnung zu bekämpfen. Unsere Aufgabe als Juristen ist es, die Gesetzgebung so zu begleiten, dass alles in rechtsstaatlichen Bahnen bleibt und wir nicht bis ins Schlafzimmer hinein ausgeforscht werden. Es ist ein Spannungsfeld zwischen sinnvollen Befugnissen zum Schutz der Bevölkerung insgesamt und der Wahrung der Grundrechte des Einzelnen, das weit über den engen Bereich des Strafrechts hinausgeht. Moderne Straftäterinnen und Straftäter sind immer besser organisiert, professioneller und international gut vernetzt. Die Digitalisierung spielt eine große Rolle. Auch wir müssen dem mit einer stärkeren Vernetzung begegnen, um Straftaten und weitere Anschläge zu verhindern. Vor zwei Jahren habe ich in München deshalb das interdisziplinäre Institut für Digitalisierung und das Recht der Inneren Sicherheit (IDRIS) gegründet.

Wie hat sich Ihr Forschungsfeld verändert?

Die Gesetzgeber rüsten ständig nach, um Tätern von Kinderpornographie, Terrorismus und Extremismus auf die Spur zu kommen. Nicht nur zur Bekämpfung des Terrorismus haben wir massive Überwachungs- und Eingriffsbefugnisse, etwa um verschlüsselte Kommunikation mitschneiden zu dürfen. Wir sammeln und verknüpfen personenbezogene Daten für Gefahrenabwehr-, Strafverfolgungs- und Nachrichtendienstbehörden. Gerade bei Terroristen ist es zudem nicht nur entscheidend, wie sie verurteilt werden. Viel wichtiger ist aus meiner Sicht, welche Mittel der Prävention es gibt. Wie können wir Gefährder belangen, also Leute, die noch nichts getan, aber Gewalttaten geplant haben? Im Fall des Terroristen Anis Amri oder des Mordes an Walter Lübcke hat sich gezeigt, dass es an der Koordinierung der unterschiedlichen Behörden haperte, obwohl die Täter schon als Gefährder erfasst waren. Da besteht viel Unsicherheit.

Welchen Fragen und Themen bewegen Sie aktuell?

Lange lag mein Fokus auf dem islamistischen Terrorismus, doch auch das Gefahrenpotenzial des rechtsextremistischen Terrorismus hat zugenommen. Das wurde spätestens seit der Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds deutlich und nicht zuletzt durch die Anschläge in Halle und Hanau. Zudem beschäftigt mich, wie wir etwa damit umgehen, wenn syrische Kämpfer oder Anhänger der Taliban nach Deutschland einreisen. Werden sie hier strafrechtlich verfolgt? Derzeit arbeite ich unter anderem an einem Lehrbuch zum Nachrichtendienstrecht und an einer Fallsammlung zum internationalen und europäischen Strafrecht und widme mich ganz der Forschung.