der Weg von Abdifatah Osman
Chancen gewähren

Kein Geld, kein Schulabschluss, keine Hoffnung – vor knapp fünf Jahren besaß Abdifatah Osman nur sein Leben. Heute ist aus dem unbegleitet geflüchteten Jugendlichen aus Somalia ein aufstrebender Gymnasiast geworden. Er ist Stipendiat bei Talent im Land – und will Deutschland etwas zurückgeben.

Sylvia Rizvi
Lesedauer: 4 Minuten

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Abdifatah Osman – kurz Abdi – hat ein strahlendes Lächeln. Dabei hatte der 21­Jährige lange Zeit wenig Grund, fröhlich zu sein. Mit 16 floh er aus Somalia nach Deutschland. Ganz allein. Er erinnert sich, wie fremd und hoffnungslos er sich bei seiner Ankunft in Mannheim fühlte. „Ich kam von einem anderen Kontinent und kannte niemanden.“ Alles war ungewohnt – die Sprache, die Kultur, das Wetter, er vermisste seine Familie.

Gleichzeitig war Abdifatah Osman erstaunt über die Hilfe, die er erfuhr. In einem Jugendheim in Mannheim bekam er ein Dach über dem Kopf. Das Jugendamt unterstützte ihn bei seinen ersten Schritten in der neuen Welt, ebenso Betreuerinnen und Betreuer, Lehrerinnen und Lehrer sowie sein Vormund. „Es gab Leute, die mir halfen, ohne etwas dafür zu erwarten. Das machte mich dankbar. Diese Gesellschaft und ihre Sprache wollte ich kennenlernen – und selbst Teil dieser wunderbaren Gesellschaft werden. Das motiviert mich Tag für Tag.“

„Als ich nach Deutschland kam, konnte ich endlich in die Schule gehen. Es war für mich wie im Traum. Ich möchte die Chancen, die ich in diesem Land bekomme, nutzen und Deutschland etwas zurückgeben. Eines Tages soll dieses Land stolz sein, dass es mir geholfen hat.“
Abdifatah Osman (21)

Und so gab Abdifatah Osman Gas. Als Erstes ging es ans Deutschlernen, in Nachmittagskursen und in der Vorbereitungsklasse. Nach kurzer Zeit meldete er sich selbständig bei der Integrierten Gesamtschule IGMH in Mannheim an und schaffte 2022 die Mittlere Reife. Es folgte ein Jahr Berufskolleg. Heute besucht er das Gymnasium. Mit den Leistungskursen Informationstechnik, Englisch und Chemie will er 2025 Abitur machen. „Dann möchte ich Informatik studieren, insbesondere Cybersecurity. Das ist mein Traum“, sagt er.

Wie schwer dieser Parforceritt gewesen sein muss, erahnt man, wenn man Abdifatah Osmans Startbedingungen bedenkt. In Somalia liegt das Bildungssystem am Boden. „Als ich nach Deutschland kam, konnte ich endlich in die Schule gehen. Es war für mich wie im Traum. Ich möchte die Chancen, die ich in diesem Land bekomme, nutzen und Deutschland etwas zurückgeben. Eines Tages soll dieses Land stolz sein, dass es mir geholfen hat, zum Beispiel, wenn ich im technischen Bereich etwas Neues entwickle, was es voranbringt.“

Das neue Ziel half ihm auch, die Einsamkeit zu verdrängen. „Ich hatte jeden Tag zu tun und sagte mir, irgendwann kommt der Tag, an dem ich meine Familie wiedersehe.“

Abdifatah Osman hat inzwischen in Mannheim eine Wohnung gefunden. „Und ich habe mit Talent im Land auch eine tolle Familie kennengelernt!“ Das Stipendienprogramm unterstützt begabte Schülerinnen und Schüler, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft Hürden zu überwinden haben, auf ihrem Weg zum Abitur oder zur Fachhochschulreife (siehe Infokasten unten). Abdifatah Osman hat sich für das Stipendium auf Vorschlag seines Mathematiklehrers und einer Heimerzieherin an der Gesamtschule beworben – und es 2022 erhalten.

Inzwischen engagiert sich der Mannheimer selbst für andere – er gibt ehrenamtlich Mathe­, Englisch­ und Deutschnachhilfe. Und er versucht, Geflüchteten eine Stütze zu sein. „Ich weiß ja, wie man sich fühlt, wenn man hier alleine ankommt. Es gab Tage, da dachte ich, ich schaffe es nicht.“ Vielleicht könne seine Geschichte ihnen Vorbild sein, um durchzuhalten. Er möchte andere ermutigen, Schwierigkeiten als Chance zu verstehen, um eigene Stärke zu zeigen. Dabei rät der 21­Jährige allen Betroffenen, sich Hilfe zu holen, wenn man sie brauche. Sie komme nicht von allein. „Und man muss Hilfe annehmen können.“ Manchen Menschen falle das schwer.

Selbstlosigkeit ist für Abdifatah Osman ein zentraler Bestandteil eines erfolgreichen Lebens in der Gemeinschaft. Seine Hoffnung, eine Gesellschaft zu verwirklichen, in der sich Menschen gegenseitig helfen, treibt ihn an. „Weder du noch ich kommen alleine weiter.“

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Aus der Stiftung – Bildung

Talent im Land

In Deutschland hängt der Bildungserfolg junger Menschen oft von der sozialen und wirtschaftlichen Lage ihrer Eltern ab. Mit Talent im Land fördern die Baden-Württemberg Stiftung und die Josef Wund Stiftung Jugendliche, die auf ihrem Weg zur Hochschulreife unterschiedliche Herausforderungen meistern müssen. Das Stipendienprogramm bietet finanzielle Unterstützung, etwa bei den Kosten für Schule, Bücher oder Sprachkurse sowie Workshops und Beratung. Bewerben können sich Jugendliche aus Baden-Württemberg ab der siebten Klasse, die gute schulische Leistungen erbringen, Talente in Kunst, Sport oder Wissenschaft haben oder sich ehrenamtlich engagieren.

www.talentimland.de