Das Präventionsparadox
Wie wenig das Wissen von damals die Menschheit davon abgehalten hat, die Erderwärmung abzubremsen, wird deutlich, wenn man sich die Entwicklung der CO2-Emissionen von 1990 bis 2019 anschaut: Während Deutschland seinen Treibhausgasausstoß um 32 Prozent verringern konnte und die USA es immerhin schafften, ihn konstant zu halten, explodierte er in Indonesien um 366 Prozent, in China um 323 Prozent und in Indien um 312 Prozent – alles Staaten, die das Wohlstandsniveau des Westens erreichen wollen und heute das tun, was wir jahrzehntelang getan haben: das Bruttosozialprodukt steigern und mehr oder weniger bedenkenlos fossile Ressourcen verfeuern. „Wir haben unseren Wohlstand jahrzehntelang subventioniert“, sagt der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer. „Den Preis, der dafür bezahlt werden muss, haben wir verdrängt, indem wir Probleme jahrzehntelang nicht beseitigt, sondern verlagert haben.“ Deshalb sollte der Westen nicht mit erhobenem Zeigefinger auf diese Nationen herabschauen, sondern mit neuen Ideen vorangehen, wie sich Wachstum und Umweltschutz verbinden lassen.
Trotzdem muss man diese Zahlen kennen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was im Sommer 2018 ein damals 15-jähriges Mädchen aus Schweden dazu bewogen hat, sich mit einem Schild auf die Straße zu setzen und in einen Schulstreik für das Klima zu treten. „Ich will, dass ihr in Panik geratet“, hat Greta Thunberg gesagt und dafür viel Anerkennung, aber auch Kritik einstecken müssen, weil man komplexe Probleme nicht mit Schwarz-Weiß-Denken lösen könne. Aus ihrem Streik, der sich zur weltumspannenden Bewegung Fridays for Future entwickelte, sprach die Ohnmacht, die nur ein junger Mensch empfinden kann, der mit Erwachsenen an einem Tisch sitzt, die reden und reden, während sich in ihrem Rücken eine Katastrophe zusammenbraut. Greta Thunberg steht stellvertretend für eine Generation, die sich durch ihr Engagement für Umwelt- und Klimaschutz politisiert hat und die sich von traditionellen politischen und wirtschaftlichen Eliten im Stich gelassen fühlt. Und obwohl viele von ihnen aus privilegierten Milieus stammen, obwohl sie mehr motivieren und weniger anklagen sollten, muss man diesen jungen Menschen wohl zugestehen, dass sie nicht in diplomatischen Formeln sprechen. Man muss sich ja nicht davon anstecken lassen. Trotzdem: Ohne Mut, Entschlossenheit und Solidarität wird es nicht gehen, den Klimawandel aufzuhalten.
„Ich versuche, aus der Vergangenheit zu lernen, aber ich plane für die Zukunft, indem ich mich allein auf die Gegenwart konzentriere.“ Mit diesem Satz begann Donald Trump sein Buch The Art of the Deal aus dem Jahr 1987. Auf die Klimapolitik bezogen ist dieser Satz eine Katastrophe. Denn das macht die Sache so kompliziert: Dass wir uns eben nicht auf die Gegenwart konzentrieren dürfen, sondern heute schon auf eine Zukunft reagieren müssen, die wir nur aus Grafiken und Simulationen kennen. Dass wir heute schon einschränkende Maßnahmen treffen müssen, die später dazu führen, dass die Katastrophe ausbleibt – und deren Nutzen wir paradoxerweise genau deshalb anzweifeln. Eine Logik, die wir in den Corona-Monaten im Zeitraffer erleben konnten: Wenn wir die Kontakte ab heute beschränken, gibt es vier Wochen später weniger Intensivpatientinnen und -patienten, was nicht heißt, dass man sich nicht hätte beschränken müssen, nur weil sich die Lage am Ende weniger dramatisch entwickelt als befürchtet.
Eine der ersten Amtshandlungen von Joe Biden als Nachfolger Donald Trumps, der die Klimakrise schlicht leugnete, bestand darin, dem Klimaabkommen von Paris wieder beizutreten. Das ist eine gute Entwicklung, weil auch Europa und China die Abkehr von Kohle, Öl und Gas vorantreiben. Gerade erst schraubte die EU ihr Klimaziel nach oben und will die CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 reduzieren.