Wenn der Deutsche Schulpreis als Indikator für Schulqualität taugt, dann gehört die Alemannenschule in Wutöschingen zu den besten Schulen der Bundesrepublik. Gleich zweimal gelangte sie in die Endrunde mit einem Konzept, das herkömmliche Vorstellungen von Unterricht auf den Kopf stellt. Statt fester Klassenräume und starrer Stundenpläne gibt es an der Gemeinschaftsschule im äußersten Süden Baden Württembergs altersgemischte Lerngruppen und offene Lernlandschaften, alles digital gestützt. Schüler heißen „Lernpartner“, die Lehrkräfte sind „Lernbegleiter“. „Wir haben angefangen, uns radikal zu fragen: Was brauchen Kinder wirklich, um gerne zu lernen? Lernen durch Erleben“, sagt der langjährige Schulleiter Stefan Ruppaner. Das war 2009, als der hauptsächlich von Arbeiterkindern besuchten Schule wegen immer geringerer Fünftklässlerzahlen die Schließung drohte. Es entstandenvLernhäuser mit sogenannten „Inputräumen“ im Erdgeschoss, daneben der „Marktplatz“ für Gruppenarbeiten, darüber „Lernateliers“ fürs eigenständige Arbeiten. Die Schule begann wieder zu wachsen, eine gymnasiale Oberstufe wurde genehmigt, der erste Abiturjahrgang erreichte 2022 eine Durchschnittsnote von 1,7. „Das Lernkonzept funktioniert nicht sofort“, sagt Ruppaner. „Aber mit der Zeit wächst bei den Schülern eine andere Haltung. Mehr Eigenverantwortung.“

Feature
Die Welt ändert sich – die Schule auch?
Lerndorf Wutöschingen oder Drill-Schule in London? Die Zukunft des Lernens liegt nicht in dem einen Modell – sondern in der Frage, die alle verbindet: Was brauchen Kinder jetzt und für die Welt von morgen?

Die „vier Cs“ des Lernens
Neulich hat die ZEIT eine der erfolgreichsten Schulen Großbritanniens besucht, mit dem größten Lernzuwachs in der Altersgruppe der 11- bis 16-Jährigen laut Fortschrittsindex der britischen Schulbehörde. An der Michaela Community School in einer armen Gegend Londons herrscht ganztägig Frontalunterricht, die Schüler treten im Essenssaal zum Appell an, und wenn der Lehrer eine Frage stellt, senkt die ganze Klasse die Köpfe Richtung Tischplatte. Damit keiner sieht, wer die Antwort weiß – und wer nicht. „Wir glauben an Disziplin und daran, dass Kinder tun sollten, was Erwachsene sagen“, sagt Schulgründerin Katharine Birbalsingh, die in der Wochenzeitung als „Großbritanniens strengste Rektorin“ bezeichnet wird.
Gehypt werden sie beide: Stefan Ruppaner und die Alemannenschule wurden in Zeitungsartikeln, auf Bildungsmessen und Schulleiterkongressen als „absolute Vorreiter“ für das Lernen und Lehren der Zukunft gefeiert. Katharine Birbalsingh, berichtet die ZEIT, habe schon auf dem Parteitag der Tories – der britischen Konservativen – gesprochen, und der frühere britische Bildungsminister Michael Gove (Tory) preise die Michaela School seit ihrer Gründung immer wieder als Vorbild. Mehr Freiraum oder mehr Drill, mehr Eigenverantwortung oder mehr Disziplinierung, Wutöschingen oder London: Wenn man sich mit der Zukunft des Lernens und der Zukunft der Schule beschäftigt, wenn man fragt, was funktioniert und was nicht, ist das die Bandbreite möglicher Antworten.
Und inmitten der tiefgreifenden Veränderungen von Gesellschaft, Wirtschaft und Technologie steht man plötzlich vor einer neuen Frage: Kann man aus der drängenden Suche nach der Zukunft der Schule überhaupt ableiten, dass es das eine Modell, die eine Version von ihr gibt?

Wie sieht die Zukunft der Schule aus – und die Schule der Zukunft? Wie kann man die Persönlichkeit von Schülerinnen und Schülern stärken? Lesen Sie das große Feature im Magazin.
Der entscheidende Maßstab für eine gute Schule im 21. Jahrhundert ist, ob sie in der Lage ist, die Kinder, die zu ihr kommen, stark zu machen für eine Welt, die sich immer schneller verändert.