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400 Milliarden Euro: Das ist die Summe, die jedes Jahr in Deutschland vererbt wird. Besteuert werden davon nur knapp zwei Prozent, also 8 Milliarden Euro. Eine Gruppe reicher Menschen fordert deshalb: Tax me now! Besteuert hohe Vermögen und Erbschaften. Was steckt dahinter? Und sorgen höhere Steuern für Vermögende wirklich für mehr Gerechtigkeit?

Benno Stieber
Lesedauer: 4 Minuten

Besteuert Reiche! Oder?

Die Vermögensungleichheit in Deutschland ist zwar seit 2009 leicht gesunken, bleibt aber auf hohem Niveau. Das belegt eine aktuelle Studie der Bundesbank. Während die reichsten zehn Prozent mehr als die Hälfte des gesamten Nettovermögens besitzen, kommen die unteren 50 Prozent, also die ärmere Hälfte, gerade einmal auf 1,2 Prozent. Mehr als die Hälfte des gesamten privaten Vermögens in Deutschland, schreibt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), wurde „nicht durch eigener Hände Arbeit erworben, sondern durch Erbschaften und Schenkungen erzielt“. Bei der Erbschaftssteuer, die eine Vermögenskonzentration abmildern könnte, ist Deutschland im internationalen Vergleich besonders zurückhaltend.2019 wurden auf die 40 größten Erbschaften nur 1,8 Prozent Steuern gezahlt, weil sie meist als Betriebsvermögen steuerbegünstigt werden.

Die Villa, die Yacht, der Luxuswagen – die internationalen Insignien des Reichtums werden an Orten wie Dubai, Monte Carlo oder L. A. oft ohne falsche Scham gezeigt. Aber gerade in Deutschland kommt Wohlstand meist diskreter daher. „Die Öffentlichkeit hat doch ein falsches Bild von ,den Reichen‘“, findet Christian von Bechtolsheim, Vermögensberater und selbst Nachfahre der einstmals reichsten deutschen Familie Fugger. Wirklich Reiche laufen nicht tagsüber mit Pelzmantel und Brillanthalsband über die Königsallee, weiß von Bechtolsheim. Denn die wirklich Vermögenden im Land seien Unternehmer, deren Firmen Milliarden wert sind und Hunderte Arbeitsplätze garantieren, so von Bechtolsheim. Leute, die oft keine Zeit und keinen Sinn dafür haben, Geld zu verprassen.

Dass sie zur Vermögenselite gehört, und das ganz ohne ihr eigenes Zutun, ahnte Stefanie Bremer das erste Mal, als sie noch Schülerin war. Sie schwärmte ihren Freunden von einem dreiwöchigen Urlaub in Kanada vor, aber es kam nur die Frage zurück, ob ihre Eltern „Bonzen“ seien. Heute weiß sie: Ihre Familie und sie zählen zu den reichsten fünf Prozent in Deutschland. Bremer, 33, trägt eigentlich einen anderen Nachnamen. Das Pseudonym verwendet sie nach eigenen Angaben aus Rücksicht auf ihre Familie. Sie selbst besitzt etwa zehn Millionen Euro, in Form von Anteilen am Familienunternehmen – einem Hidden Champion in Baden – und Immobilien, die sie günstig als Sozialprojekte vermietet. Gerecht findet sie solch ein Erbe nicht. „Während viele keine Chance mehr haben, durch Arbeit ein eigenes Vermögen aufzubauen, bietet unser Steuersystem Menschen wie mir diverse Schlupflöcher und Freibeträge“, sagt sie.

Deshalb streitet Millionenerbin Stefanie Bremer zusammen mit anderen Vermögenden, wie dem Heidelberger Unternehmer Peter Reese und der BASFErbin Marlene Engelhorn, in der Initiative taxmenow für höhere Erbschaftssteuern für Reiche. taxmenow will auch die Vermögenssteuer für Millionen- und Milliardenvermögen wieder einführen und Erträge aus Kapital wie Aktien und Dividenden genauso besteuern wie erarbeitetes Einkommen. Denn zu viel Konzentration des Kapitals gefährde die Demokratie. International stehen mehr als 100 Millionäre hinter diesen Forderungen.

Stefanie Bremer, 33, wurde in eine wohlhabende Unternehmerfamilie hineingeboren und engagiert sich mit anderen Millionären bei der Initiative taxmenow. Sie ist Stifterin der Bewegungsstiftung und investiert Teile ihres Vermögens in soziale Wohnungsprojekte. Für sie ist eine gleichmäßigere Verteilung von Vermögen eine Frage der Gerechtigkeit. Auch wenn sie zugibt, dass absolute Gleichverteilung eine Utopie bleibt.

Die Stiftung Familienunternehmen, getragen von etwa 500 der insgesamt über zwei Millionen familiengeführten deutschen Unternehmen, hält dagegen. Vermögen zu belasten, sei sehr kompliziert und letztlich nicht gerecht, wehrt Roland Franke, Steuerexperte der Stiftung, ab. Denn Deutschland habe bereits eine vergleichsweise hohe Steuerbelastung. Zwei Drittel des Vermögens von Wohlhabenden seien nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, das mit der Stiftung Familienunternehmen kooperiert, im Betrieb gebunden. Das heißt: Bei einer Vermögens- oder Erbschaftssteuer würde Geld aus den Unternehmen gezogen, das dann für Investitionen fehlt. Der Rest wurde über die Körperschafts- und Einkommenssteuer zudem bereits versteuert. Eine Studie des Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V. (ifo) warnt zudem, dass eine Vermögenssteuer mehr Kosten als Nutzen für die Gesellschaft erzeugt, weil Investitionen zurückgingen und so mittelfristig das Bruttoinlandsprodukt je nach Rechnung um ein bis zwei Prozentpunkte sinken könnte – mit negativen Auswirkungen auf Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähigkeit. „Es macht doch keinen Sinn, durch blinde Besteuerung die Volkswirtschaft zu schädigen“, sagt Franke.

Eigentum verpflichtet. Aber wozu?

Chancengleichheit ist ein Menschenrecht, Eigentum auch. Das Grundgesetz schützt das Eigentum, bindet es aber zumindest abstrakt an Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. „Eigentum verpflichtet“ steht da. Aber wozu? Die Antwort der Verfassung bleibt vage: Es solle „zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“. Das geht auch über mildtätige Spenden. Das wichtigste und demokratischste Mittel, privates Eigentum zum Wohle aller einzusetzen, sind jedoch Steuern und Abgaben. Denn von Sicherheit und einer funktionierenden Infrastruktur profitieren alle. Aber sind die Lasten dafür gerecht verteilt? DIW-Präsident Marcel Fratzscher weist auf eine Schieflage hin: Geringverdienenden werden bis zu 30 Prozent ihres Einkommens für Abgaben und Steuern abgezogen, ähnlich viel wie Vermögenden.

Aber ist eine Gesellschaft, die auf mehr Gleichheit setzt, auch automatisch gerechter? Oder muss eine freiheitliche Gesellschaft nicht vor allem dafür sorgen, dass diejenigen, die schlechtere Startbedingungen haben, möglichst vielfältige Chancen für ein selbstbestimmtes Leben bekommen? Geht es also weniger ums Umverteilen als um bessere Bildung und die gezielte Förderung der Schwachen in der Gesellschaft? So lange die Möglichkeiten unbegrenzt zu sein scheinen, mag diese Rechnung aufgehen. Was ist aber, wenn sich die Startbedingungen vieler Menschen verschlechtern, weil der Wohlstand insgesamt schrumpft, allgemeine Kosten steigen und der Klimaschutz Einschränkungen notwendig macht? Es geht um ein schwer zu definierendes Gerechtigkeitsgefühl, um gesellschaftliche Teilhabe und um Macht und Einfluss der einzelnen Bevölkerungsschichten.

Grenzen des Reichtums

Das Gefühl, dass der Wohlstand in Deutschland ungerecht verteilt ist, wabert spätestens seit der steigenden Inflation wieder durch die Gesellschaft. Nach einer aktuellen Umfrage der Bertelsmann Stiftung sind 75 Prozent der Deutschen der Meinung, dass der Unterschied zwischen Arm und Reich verringert werden müsste. Nur 34 Prozent finden, dass ihr eigenes Einkommen und Vermögen gerecht seien. Doch sehen sich nur wenige selbst in der Pflicht. Gerade einmal 37 Prozent wären bereit, mehr Steuern zu bezahlen, wenn Ärmere als sie davon profitieren würden.

Den wenigsten Menschen käme wohl in den Sinn, freiwillig mehr an den Staat abzugeben. Lieber spenden oder vererben sie Teile ihres Vermögens an soziale Einrichtungen. So entstehen auch steuerbegünstigte Stiftungen, von denen die des Microsoft-Gründers Bill Gates und seiner Frau vielleicht die weltweit bekannteste ist. Sie fördert Forschung und Entwicklung, um Krankheiten und globale Probleme zu bekämpfen. Doch Stiften sei keine Lösung, sagt taxmenow.

Christian von Bechtolsheim, 62, kennt als Vorstandssprecher einer Vermögensberatung speziell für Familienunternehmer die Reichen und Superreichen aus nächster Nähe. Er selbst ist Nachfahre des Kaufmannsgeschlechts der Fugger, die im Mittelalter Fürsten und Königen Kredit gegeben haben. Sein Vermögen, betont von Bechtolsheim, habe er aber nicht geerbt, sondern selbst erarbeitet.

Denn über den Stiftungszweck bestimmten die Wohlhabenden zumindest ein Stück weit, was gesellschaftlich wichtig ist. Nicht aber eine gewählte Regierung, wie es in einem demokratischen Staat sein sollte. Aber warum sollen Wohlhabende mit ihrem bereits versteuerten Vermögen, das sie oft mit viel persönlichem Einsatz und Risikobereitschaft erworben haben, nicht tun dürfen, was sie für richtig halten?

Unternehmerische Leistung kann auch Stefanie Bremer anerkennen. Ihr gehe es nicht um Gleichmacherei, sagt sie. „Aber es gibt eine Grenze des Reichtums, ab der niemand sagen kann, das habe ich allein verdient.“ Es sei Aufgabe des Staates, für eine gerechte Umverteilung zu sorgen. Doch wo liegt die Grenze? Bremer will Superreiche, also höchstens ein bis zwei Prozent der Bevölkerung, höher besteuern. Das Häuschen der Oma steht keinesfalls zur Debatte. „Aber diese Grenze muss die Gesellschaft aushandeln.“ taxmenow bringt auch unkonventionelle Ideen ins Spiel. Warum aus den Einnahmen einer hohen Erbschaftssteuer nicht ein Startkapital für alle jungen Menschen ab 21 Jahre ausschütten oder verlosen?

Die Stiftung Familienunternehmen hält natürlich nicht viel von solchen Ideen. Ihr Steuerexperte Roland Franke macht einen Gegenvorschlag: Wer seine Erbschaft als belastend empfinde oder sich selbst als zu schwach besteuert, könne das Geld jederzeit dem Staat zur Verfügung stellen. Die Bundesregierung hat dafür 2006 das Schuldentilgungskonto eingerichtet. In 16 Jahren sind dort allerdings nur 1,33 Millionen Euro eingegangen.